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dem Ball, im Konzert, oder bei anderen Festen, woran sie teilnehmen können.
Die Zeit, die dem denkenden Menschen so kostbar, dem oberflächlichen so lang
vorkommt, wird hier nicht mit Schlafen bis an den Mittag, nicht mit Früh-
stücken, nicht mit Besänftigung und leerer Vertröstung der Gläubiger, nicht in
wichtiger und geheimnisvoller Konferenz mit Schneider und Putzmacherin, nicht
mit Toilettemachen noch mit unnützem Geschwätz im Vorzimmer zugebracht. Jeder
denkt, liest, zeichnet, schreibt, spielt ein Instrument, ergötzt oder beschäftigt sich in
seinem Zimmer bis zur Tafel. Alsdann kleidet man sich sauber, doch ohne Pracht
und Verschwendung an und begibt sich in den Speisesaal.
Alle Beschäftigungen und Vergnügungen des Kronprinzen verraten den Mann
von Geist. Er bemüht sich jetzt, die gefährlichen politischen Träume des Machiavell
zu widerlegen. Sein Gespräch bei Tafel ist unvergleichlich; er spricht viel und gut.
Es scheint, als wäre ihm kein Gegenstand fremd oder zu hoch; über jeden findet
er eine Menge neuer und richtiger Bemerkungen. Sein Witz gleicht dem nie ver-
löschenden Feuer der Vesta. Er duldet den Widerspruch und versteht die Kunst,
die guten Einfälle anderer zutage zu fördern, indem er die Gelegenheit, ein
sinniges Wort anzubringen, herbeiführt. Er scherzt und neckt zuweilen, doch ohne
Bitterkeit und ohne eine witzige Erwiderung übel aufzunehmen. Glauben Sie
nicht, gnädige Frau, daß mich der Nimbus blendet, der den Kronprinzen um-
gibt. Nein, ich schwöre es Ihnen, selbst wenn er ein schlichter Privatmann wäre,
würde ich mit Vergnügen meilenweit zu Fuß gehen, wenn mir seine Gesellschaft
dadurch zuteil würdee
Die Abende sind der Musik gewidmet. Der Prinz hält in seinem Salon
Konzert, wozu man eingeladen sein muß. Eine solche Einladung ist immer eine
besondere Gnadenbezeigung. Der Prinz spielt gewöhnlich die Flöte. Er be-
handelt das Instrument mit höchster Vollkommenhcit; sein Ansatz sowie seine
Fingergeläufigkeit und sein Vortrag sind einzig. Er hat mehrere Sonaten selbst gesetzt
Doch Friedrich ist in allem ausgezeichnet. Er tanzt schön mit Leichtigkeit und
Grazie und ist ein Freund jedes anständigen Vergnügens, mit Ausnahme der Jagd,
die in seinen Augen geist= und zeittötend und, wic er sagt, nicht viel nützlicher
ist als das Ausfegen eines Kamins.
51.
Friedrichs des Großen Auffassung von der Herrscherwürde.
Quelle: Friedrichs des Großen Schrift: „L'Antimachiavel.“ 1740.
(Französisch.)!)
Übersetzung: G. Mendelssohn-Bartholdv, Der König Friedrich der Große in seinen Briefen und
Erlassen .. Leipzig 1913. S. 97—100.
Kapitel 1. Wenn man richtig urteilen will, muß man erst die Natur des
Gegenstandes, über den man sprechen will, erforschen, muß man bis zum Ur-
sprunge der Dinge zurückgehen, um so viel als möglich ihre Grundurfachen kennen
1) Friedrich richtete seine Schrift gegen das berüchtigte Buch des Florentiners
Machiavelli: il principe (Der Fürst), das dieser 1515 für die Fürsten schrieb. Nach des
Florentiners Meinung gibt es für die Fürsten weder Treue, Gewissen noch Ehre. Der
Unterschied zwischen Tugend und Laster ist für ein gekröntes Haupt ausgehoben. Sein
Vorteil hat ihm als einziger Zweck zu gelten, und jedes Mittel, um zum Ziele zu ge-
angen, ist ihm erlaubt.