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Weltbürger billigen zu können. Ich arbeite hier ganz in der Stille an der inneren
Reorganisation meiner Provinzen, die Anordnungen in betreff der Armee sind im
großen und ganzen schon erledigt. Die Franzosen haben ihren Frieden fünf Tage
vor uns geschlossen. Sie müssen gestehen, daß wir ihnen auf dem Fuße nachgefolgt
sind, und daß man ein so großes Werk nicht schlanker zu Ende bringen kann, als
wir es getan haben. Seine polnische Majestät ist noch nicht hergestellt. Seine Ge-
sundheit schwankt noch immer. Die Sachsen sehen seine Rückkehr als ein Landes-
unglück an; er ist für sie eine schlimmere Geißel als Krieg oder Hungersnot. Aber
was geht Sie und mich Sachsen, der König von Sachsen, seine Minister und diese
ganze liederliche Wirtschaft an? Ich strebe nach Beruhigung meines Geistes und
nach einer kleinen Entledigung von Geschäften, um mein Leben zu genießen und
in leidenschaftsloser Ruhe über mich selbst nachzudenken. Ich will bei meinem
Innern Einkehr halten und besonders mich von aller Repräsentation frei zu
machen suchen, die mir, um Ihnen die Wahrheit zu gestehen, von Tag zu Tag
unerträglicher wird.
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Zusammentreffen Friedrichs des Großen mit Gellert in Leipzig.
1760.
Quelle: Brief Gellerts an Fräulein Erdmuthe von Schönfeld. 12. Dez. 1760.
Fundort: Dahlener Antiquarius oder Beiträge zur Geschichte der Stadt Dahlen nebst Umgegend. 1. Teil:
· Gellerts Briefe an Fräulein von Schönfeld. Leipzig 1861. Nr. 58.
Gnädiges Fräulein! Gestern nachmittag halb drei Uhr sitze ich mit ver-
schlossener Türe und lese zu meiner Erbauung in den Psalmen. Kaum habe ich
zu lesen angefangen, so pocht jemand sehr ungestüm an meine Tür. In der
Angst rufe ich: herein! und öffne die Türe und sehe zu meinem Schrecken einen
Offizier vor mir stehen. — Ich bin der Major Quintus. Der König läßt bitten,
daß Sie ihn um drei Uhr besuchen möchten. — Herr Major, ich muß mich nieder-
setzen, ich bin erschrocken, daß ich zittere. Sie sehen, daß ich krank bin (ich war
in vier Tagen nicht barbiert, hatte eine Nachtmütze auf und mochte blaß wie der
Tod aussehen), und ich schickte mich nicht für den König. — Herr Professor, ich
sehe, daß Sie krank sind, und Sie sind nicht gezwungen, heute zum Könige zu
gehen. Fürchten Sie nichts, ich bin Ihr Freund und ein großer Verehrer Ihrer
Schriften; trauen Sie mir, Sie haben nichts bei dem Könige zu fürchten. Sie
gewinnen aber auch nichts, wenn Sie heute zu Hause bleiben; denn ich komme
morgen und übermorgen wieder und immer so fort. Jetzt will ich Ihnen drei
Viertelstunden Zeit geben, wenn Sie sich umziehen wollen, und um halb vier
Uhr wieder bei Ihnen sein. Leben Sie wohl; der König will Sie ohne Ausnahme
sehen. — Nun war er fort; Goedicke2) war nicht da, ich hatte keinen Barbier,
keine Perücke, nichts, keinen Menschen um mich; aber kurz zu reden, ich ward
um halb vier Uhr mit meinem Anzuge fertig, als der Major kam, und um
vier Uhr waren wir schon beim Könige. NB. Ehe ich ging, betete ich, daß ich
nichts wider mein Gewissen reden möchte.
1) Während des Winters 1760—1761 hielt sich Friedrich in Leipzig auf, beschäftigt
mit den Vorbereitungen zum neuen Feldzuge, und nach seiner Art jeden Augenmblick, den
ihm die Sorge und die Arbeit seines Berufes übrig ließen, mit künstlerischem Genuß oder
wissenschaftlichem Studium ausfüllend. Damals lernte er hier auch im Dezember den
Dichter Christian Fürchtegott Gellert kennen und schätzen.
:) Gellerts Diener.