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Aufbruch. Jetzt übersah man die Chaussee und bemerkte, daß, während noch
immer lange Reihen von Fuhrwerk aller Art nach Jena hinzogen, eine andere
Masse in wilder Eile und Verwirrung von dort kam, um an unserem Lagerplatz
vorüber nach Weimar zu fliehen. Sehr bald, etwa zwischen 8 und 9 Uhr, er-
schienen in diesem mit jedem Augenblick wilder und wirrer werdenden Durch-
einander unverkennbare Ausreißer und leicht Verwundete, die mit und ohne Waffen
in eiliger Flucht vorüberzogen. Auf ihren Gesichtern lag Bestürzung und Mut-
losigkeit; kaum standen ctliche Rede, wenn man sie anhielt. Fragte man sie aus,
so vernahm man, daß es schlecht stehe, die Schlacht so gut wie verloren sei, die
Kavallerie ihre Schuldigkeit nicht getan und die Infanterie im Stiche gelassen
oder überritten habe, daß die Infanterie un Nebel gegen verdeckte Batterien ge-
führt worden sei, und was dergleichen Redensarten mehr waren. Andere, und
dies waren zumeist schwerer Verletzte, sagten das Gegenteil: es ginge alles gut,
die Franzosen wären schon so gut wie geschlagen, und unsere Hilfe würde kaum
noch nötig sein.
Es war gegen 10 Uhr morgens, als sich endlich nach langem und unbegreif-
lichem Zögern der General Rüchel mit seinem Korps in Marsch setzte. Dieser
ging mehrere Stunden in der Richtung auf Jena, auf dem Gelände rechts der
Chaussee, in ganz langsamer Bewegung wie auf dem Exerzierplatz fort. Je weiter
wir vorrückten, je mehr füllte sich die Chaussee mit zurückkehrenden Verwundeten
und zerstreuten Truppen aller Gattungen. Mittlerweile war es 1 Uhr geworden,
und die Spitzen unserer Kolonnen änderten nun die Marschrichtung nach Jena,
überschritten die Chaussee und wandten sich gegen Kapellendorf. Noch konnten wir
nichts vom Schlachtfelde sehen, ebensowenig mit Bestimmtheit über den Stand
der Dinge urteilen. Frohen Mutes, durch die empfangene Nachricht mit neuen
Hoffnungen erfüllt, schritten die Soldaten unter lautem Gesange vorwärts. Das
beliebte „Frisch auf, Kameraden,“ ertönte in beständiger Wiederholung und wurde,
je näher wir dem Orte der Entscheidung kamen, mit steigender Begeisterung ge-
sungen, bis endlich das Pfeifen der Kugeln dem Schwanengesange ein Ende
machte. Wir rückten durch Kapellendorf vor; die Linie ging in musterhafter Ord-
nung einige hundert Schritt gegen das Dorf Vierzehnheiligen. Die feindlichen
Kugeln taten uns vielen Schaden, und wir hatten dem nichts entgegenzusetzen als
ein paar Regimentsgeschütze, die bald in Unordnung gebracht wurden und ver-
stummten. General von Rüchel und viele Stabsoffiziere wurden verwundet; die
Soldaten waren ohne regelmäßige Führung und ohne Kommando. Zwar drangen
die Soldaten in einer Art Wut und Verzweiflung immer noch vorwärts, aber das
Geschrei der Tapferen wie der Verzagten: „Vorwärts, vorwärts!“, das Weh-
klagen der Fallenden und Verwundeten, alles das machte die Unordnung immer
größer, bis sie den höchsten Grad erreicht hatte und an kein Halten mehr zu
denken war. Als die Verzweiflung den schon zerrissenen Bataillonen den letzten
Versuch eingab und einzelne schwache Abteilungen mit dem Bajonett draufgingen,
verdoppelte der Feind sein mörderisches Kartätschenfeuer, was uns den Rest gab.
Die Flucht der ersten Linie ward allgemein. Anfangs gelang es zwar, unter
dem Schutze des nachrückenden zweiten Treffens einzelne Abteilungen wieder zum
Stehen zu bringen, allein es waren regellose Haufen, und alle Versuche einer
Menge Offiziere und Unteroffiziere blieben fruchtlos. Als der Feind uns fort-
während mit Kartätschen beschoß und endlich Kavallerie auf die regellosen Haufen
einhieb, suchte alles Schutz hinter dem zweiten Treffen. Aber auch das zweite