— 161 —
Treffen war bald geschlagen. Noch gelang es mehreren Offizieren, die schwachen
Trümmer ihrer Truppen während einer Zeit zum Stehen zu bringen und durch
Wort und Beispiel den einreißenden Schrecken zu bekämpfen. Einzelne Abteilungen
gingen wieder vor und leisteten der vordringenden feindlichen Kavallerie Wider—
stand. Neben Furchtsamen, Feigen und Pflichtvergessenen gab es von allen
Graden der Braven in Menge, welche die Schande der Flucht nicht ertragen
konnten. Mein Auge sah solche, die, in der einen Hand das Gewehr, in der
andern den Säbel, die Flüchtigen aufhielten, bis sie ereilt und zusammen—
gehauen wurden. Die Franzosen benutzten ihren Sieg und rückten immer weiter
gegen Kapellendorf vor; es war daher an kein Halten diesseits des Ortes mehr
zu denken, und so eilte alles, was nicht abgeschnitten, niedergehauen oder ge—
fangen werden wollte, dem unglückseligen Hohlweg wieder zu. Die feindliche
Kavallerie spielte hier ihre Hauptrolle und saß den Fliehenden so auf den Hacken,
daß ein großer Teil jener, die nicht dem Hauptstrome zum Eingange des Dorfes
folgten, sondern dieses rechts und links umgehen wollten, von ihr ereilt wurde.
Vom Strudel fortgerissen, zu Pferde, entging ich mit Mühe diesem Lose,
rettete eine Fahne des Regiments, die ich einem Junker entriß, der nicht mehr
fortkonnte, und erreichte so, wenn ich das als ein Glück betrachten darf, glücklich
das offene Feld jenseits Kapellendorf. Unter dem Schutze eines hier haltenden
sächsischen roten Dragonerregiments gelang es mir, mit Unterstützung mehrerer
Offiziere eine große Menge Leute von allen Regimentern des Armeekorps bei
meiner Fahne zu sammeln. Der Haufen wuchs bald auf 400 bis 500 Mann, da
alle noch durch das Dorf kommenden Flüchtlinge nicht mehr von der Kavallerie
durchgelassen und mit Güte oder Gewalt gezwungen wurden, sich anzuschließen.
Ein großer Teil dieser Unglücklichen und ich selbst betrachteten es als ein Glück,
wieder einen Anhalt gefunden zu haben und einem geschlossenen Trupp an-
zugehören. Ich war daher mit Hilfe einiger Offiziere und Unteroffiziere vom
Regiment, die sich sehr tätig zeigten, bemüht, Ordnung in die Masse zu bringen,
allein die Freude dauerte nicht lange. Als der Feind die letzten jenseitigen
Truppen in die Enge von Kapellendorf hineingeworfen hatte, fing er an, den
Ort mit Granaten zu beschießen, von denen einige in das sächsische Kavallerie-
regiment und in meinen Trupp einschlugen. Dies veranlaßte bei meinem lockeren
Haufen sowohl als unter den Dragonern einige Unruhe; unsere entmutigten Sol-
daten vermochten dergleichen nicht mehr zu ertragen. Gleichzeitig sahen sie
Hunderte von Flüchtlingen durchs Dorf kommen, die sich weder durch Worte
noch mit Gewalt mehr aubhalten ließen, sondern durch schnelle Flucht ein sicheres
Los zu wählen glaubten, als hier die Braven zu spielen. Gründe genug, um die
lockeren Bande meiner Schar zu sprengen. Dieser Augenblick war nicht fern; denn
als das Dragonerregiment für gut fand, Kehrt zu machen und abzumarschieren,
was keineswegs im Schritt geschah, und auch noch Granaten einschlugen, da
schrieen einige: „Die Reiterei läßt uns im Stich! Der Feind umgeht das Dorf!“
und alles stob wie Spreu auseinander. Ohne Truppen war für mich auch keine
Zeit mehr zu verlieren; einzelne feindliche Kavallerietrupps hatten inzwischen das
Dorf umgangen, und so folgte ich denn der Spur der heillosen Flucht nach
Weimar. Die gerettete Fahne des Regiments hatte ich einem tüchtigen Unter-
offizier gegeben, der sie glücklich nach Magdeburg brachte; sie befand sich später
bei dem wieder gesammelten Reste des Regiments und ging erst bei Lübeck ver-
oren.
W. u. O. Heinze-Kinghorst, Quellenlesebuch. 11. 11