Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Zweiter Teil. Deutsche, vornehmlich brandenburgisch-preußische Geschichte bis 1815. (2)

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Flüchtlingen geleert habe, so unmöglich es auch war, daß die Feinde sie schon er— 
reicht haben sollten. 
Ich kann nicht sagen, daß mich der Anblick sehr erschüttert hätte. Auch in mir 
regte sich der alte Haß, so jung ich war, und ich sah in dem allen nur die Er- 
füllung dessen herannahen, was wir alle so heiß ersehnt hatten: Befreiung von 
dem schmählichen Joche, das uns zu Boden drückte. 
Vor wenigen Tagen war Napoleon durch Glogau gekommen. Im einfachen 
Schlitten war er unerwartet am Gouvernements-Gebäude vorgefahren und hatte 
sich halb erstarrt in das Bett des erschrockenen Generals geworfen. Großmütiger 
oder feiger als er, hatte man es nicht gewagt, ihn in den Wäldern aufzuheben, 
wozu ein Zug Husaren genügt hätte. 
Unter solchen Eindrücken kam ich im Vaterhause an. Das Wiedersehen war 
sehr freudig, doch konnte man sich nicht mehr dem unbefangenen Glücke früherer 
Jahre hingeben. Die Zeit wurde schon zu ernst, als daß der Ton jener unschuldigen 
Gespräche, die das Nächste, Persönliche betrafen, zu ihr gepaßt hätte. Alles nahm 
schon einen weitern, in die Zukunft hinüberleitenden Charakter an. Die politisch 
wichtigsten Nachrichten drängten sich. Was wird der König tun? war die all— 
gemeine Frage. Ungeduldig wollte man den Ereignissen mit allerlei Mutmaßungen 
vorgreifen. Selbst der Stockphilister meiner Vaterstadt fand sich erregt von so 
Unerwarteten 
Die Trennung von meinem alten Vater wurde mir sehr schwer. Nach dem 
Neujahre reiste ich ab. Schon war die Nachricht von Borcks entscheidendem Schritte 
eingetroffen. Es mußte geschieden sein. Bange Ahnungen, daß ich den Vater 
nicht wiedersehen würde, durchzuckten mich. Von dem, was mir bevorstand, hatte 
ich ein dunkles Gefühl. 
Meine Rückreise nach Ols fiel in die kälteste Zeit des Jahres. Die Posten 
waren überfüllt mit Offizieren, die zu der Armee in Schlesien eilten. Die trüben 
Eindrücke der Trennung verwischten bald die von allen Seiten auf mich ein- 
stürmenden äußeren Begebenheiten. Junge Offiziere schwärmten von der Hoff- 
nung, nun bald ins Feld zu rücken. Ernstere Männer sprachen bedeutsam von 
dem, was sich in Breslau vorbereite. Der König wurde erwartet. 
Unter solchen Verhältnissen kam ich in Ols an. Ich hatte keine Ruhe mehr. 
Der Monat verging unter den gewöhnlichen Beschäftigungen. Ich ritt noch einige- 
mal auf die Märkte. UÜberall hörte man von nichts als von dem Kriege sprechen, 
der ausbrechen müsse. Alles murrte über die Verzögerung des Entschlusses. Der 
König war jetzt in Schlesien. Über Yorcks Schicksal wußte man noch nichts. Der 
Gedanke, daß man noch ferner zu Frankreich halten könne, wurde ein unerträglicher. 
An einem trüben Februartage kam ich von einem Geschäftsritte gegen Mittag 
nach Hause, ich glaube, es war am 4. Februar. Der Oberamtmann Scholz#y eilte 
mir mit einem Zeitungsblatte entgegen. Es entbielt den Aufruf des Königs zur 
Bildung freiwilliger Jägerkorps vom 3. Februar. Mit flammendem Blick durchflog ich 
ihn. „Was werden Sie tun?“ fragte mich Scholz. „Ich reise nach Breslau. Geben Sie 
mir Urlaub!“ war meine Antwort. Da war der Entschluß gefaßt, Soldat zu werden. 
Scholz billigte ohne weiteres meinen Entschluß; er hatte ihn erwartet. Alle 
meine Freunde umringten mich und bewiesen mir ihre aufrichtige Teilnahme. 
Bald waren meine Sachen gepackt. Des Abends um 7 Uhr ging die Post von 
Freiburg ab. 
1) Der Pächter des Gutes.
	        
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