— 203 —
Flüchtlingen geleert habe, so unmöglich es auch war, daß die Feinde sie schon er—
reicht haben sollten.
Ich kann nicht sagen, daß mich der Anblick sehr erschüttert hätte. Auch in mir
regte sich der alte Haß, so jung ich war, und ich sah in dem allen nur die Er-
füllung dessen herannahen, was wir alle so heiß ersehnt hatten: Befreiung von
dem schmählichen Joche, das uns zu Boden drückte.
Vor wenigen Tagen war Napoleon durch Glogau gekommen. Im einfachen
Schlitten war er unerwartet am Gouvernements-Gebäude vorgefahren und hatte
sich halb erstarrt in das Bett des erschrockenen Generals geworfen. Großmütiger
oder feiger als er, hatte man es nicht gewagt, ihn in den Wäldern aufzuheben,
wozu ein Zug Husaren genügt hätte.
Unter solchen Eindrücken kam ich im Vaterhause an. Das Wiedersehen war
sehr freudig, doch konnte man sich nicht mehr dem unbefangenen Glücke früherer
Jahre hingeben. Die Zeit wurde schon zu ernst, als daß der Ton jener unschuldigen
Gespräche, die das Nächste, Persönliche betrafen, zu ihr gepaßt hätte. Alles nahm
schon einen weitern, in die Zukunft hinüberleitenden Charakter an. Die politisch
wichtigsten Nachrichten drängten sich. Was wird der König tun? war die all—
gemeine Frage. Ungeduldig wollte man den Ereignissen mit allerlei Mutmaßungen
vorgreifen. Selbst der Stockphilister meiner Vaterstadt fand sich erregt von so
Unerwarteten
Die Trennung von meinem alten Vater wurde mir sehr schwer. Nach dem
Neujahre reiste ich ab. Schon war die Nachricht von Borcks entscheidendem Schritte
eingetroffen. Es mußte geschieden sein. Bange Ahnungen, daß ich den Vater
nicht wiedersehen würde, durchzuckten mich. Von dem, was mir bevorstand, hatte
ich ein dunkles Gefühl.
Meine Rückreise nach Ols fiel in die kälteste Zeit des Jahres. Die Posten
waren überfüllt mit Offizieren, die zu der Armee in Schlesien eilten. Die trüben
Eindrücke der Trennung verwischten bald die von allen Seiten auf mich ein-
stürmenden äußeren Begebenheiten. Junge Offiziere schwärmten von der Hoff-
nung, nun bald ins Feld zu rücken. Ernstere Männer sprachen bedeutsam von
dem, was sich in Breslau vorbereite. Der König wurde erwartet.
Unter solchen Verhältnissen kam ich in Ols an. Ich hatte keine Ruhe mehr.
Der Monat verging unter den gewöhnlichen Beschäftigungen. Ich ritt noch einige-
mal auf die Märkte. UÜberall hörte man von nichts als von dem Kriege sprechen,
der ausbrechen müsse. Alles murrte über die Verzögerung des Entschlusses. Der
König war jetzt in Schlesien. Über Yorcks Schicksal wußte man noch nichts. Der
Gedanke, daß man noch ferner zu Frankreich halten könne, wurde ein unerträglicher.
An einem trüben Februartage kam ich von einem Geschäftsritte gegen Mittag
nach Hause, ich glaube, es war am 4. Februar. Der Oberamtmann Scholz#y eilte
mir mit einem Zeitungsblatte entgegen. Es entbielt den Aufruf des Königs zur
Bildung freiwilliger Jägerkorps vom 3. Februar. Mit flammendem Blick durchflog ich
ihn. „Was werden Sie tun?“ fragte mich Scholz. „Ich reise nach Breslau. Geben Sie
mir Urlaub!“ war meine Antwort. Da war der Entschluß gefaßt, Soldat zu werden.
Scholz billigte ohne weiteres meinen Entschluß; er hatte ihn erwartet. Alle
meine Freunde umringten mich und bewiesen mir ihre aufrichtige Teilnahme.
Bald waren meine Sachen gepackt. Des Abends um 7 Uhr ging die Post von
Freiburg ab.
1) Der Pächter des Gutes.