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Eile die erforderlichen Lazarettbedürfnisse an Bettstellen, Strohsäcken usw. an-
geschafft und angemessene Lokale zu Lazaretten angewiesen würden.
Zwar forderte der Magistrat am 17. Oktober noch zur Lieferung von Lazarett-
bedürfnissen auf, und es ging auch manches davon ein; aber hier ließ sich mit
Wahrheit der Ausspruch anwenden: Was ist das unter so viele!
Außer der Nikolaikirche war kein einziges hiesiges öffentliches Gebäude mehr
frei; nun erfolgte sogar die Weisung, daß die Häuser ganzer Straßen von ihren
Bewohnern geräumt und zu Militärlazaretten eingerichtet werden sollten.
Am 18. Oktober früh erneuerte sich die Schlacht mit fürchterlicher Wut. Aber
wahrscheinlich mußten die Franzosen bereits vormittags zu ahnen anfangen, daß
der Ausgang für sie widrig sein werde. Denn es wurden die französischen Be-
hörden, wenn auch nicht in der Größe ihrer Forderungen, doch in der Art, wie
sie solche machten, sanfter und milder. Ja, der Oberaufseher sämtlicher Hospitäler,
Marchand, erbot sich nun sogar von freien Stücken, für die hier befindlichen
Kranken zu bezahlen. Auch ließ er nicht undeutlich merken, daß die Kranken hier
zurückbleiben, die Armee aber Leipzig verlassen würde.
Nachmittags brannte das Vorwerk Pfaffendorf nieder, und in demselben ver-
brannten mehrere Hundert Kranke. Auf dem Brühl entstand durch hereingefallene
Kugeln Feuer, das aber von der herbeigeeilten hiesigen Feuerwehr noch glücklich
gelöscht wurde, ehe es weiter um sich griff. Der Andrang der ankommenden Ver-
wundeten wurde immer stärker, aber sie mußten nun mit Schuppen, Scheunen
und Ställen sich begnügen.
Gegen 4 Uhr nachmittags kam der später mit in St. Helena gewesene General
Bertrand mit seinem Korps zum Halleschen Tore herein auf hiesigem Markte an.
Natürlich mußten wir dieses Korps als ankommende neue Gäste ansehen, und da
wir zu den verlangten Erquickungen an Lebensmitteln auch nicht das Geringste
hatten, so war diesen Hungernden und Dürstenden gegenüber unsere Lage höchst
peinlich. Das Bertrandsche Korps konnte auf hiesigem Markte eine halbe Stunde
lang sozusagen nur verschnaufen, dann wurde Marsch geschlagen, und es zog zum
Ranstädter Tore hinaus, um zum Rückzuge der französischen Armee nach Weißen-
f#els zu den Weg zu säubern und zu bahnen.
Die nächste Nacht brachte Napoleon in hiesiger Stadt zu, und zwar im Hotel
de Prusse. Dieser sonst übermächtige Herrscher konnte doch nicht Steine zu Brot
werden lassen, noch konnten seine sonst so furchtbaren Garden ihm solches ver-
schaffen. Er mußte mit dem für ihn und sein starkes Gefolge von uns bei den
hiesigen Bäckern zusammengeholten geringen Vorrate, der nur 17 Guoschen
6 Pfennige betrug, sich begnügen.
Ein einleuchtenderer Beweis, wie groß der Brotmangel in Leipzig war, kann
wohl kaum geführt werden. Der General Margaron, der etliche Wochen unser
Stadtkommandant gewesen war, jetzt aber mit seiner Abteilung in der Nähe des
Kuhturmes stand, schickte zwei Karolin auf das Rathaus mit der Bitte, man möge
ihm dafür aus alter Bekanntschaft nur ein Kommißbrot zukommen lassen.
Am 19. Oktober kam Napoleon mit einer sehr starken Begleitung zu Pferde
von der Grimmaischen Straße her auf den Markt, und als Augenzeuge muß ich
versichern, daß weder während des halbstündigen Besuches, welchen er dem Könige
von Sachsen machte, und bei dem er im Thomäschen Hause eine Treppe hoch
im Erker stand, noch bei seinem Wegreiten Angstlichkeit an ihm zu bemerken war;
nur nahm er auffallend oft Tabak.
W. u. O. Heinze-Kinghorst, Quellenlesebuch. II. 15