Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Zweiter Teil. Deutsche, vornehmlich brandenburgisch-preußische Geschichte bis 1815. (2)

— 232 — 
134. 
Der Wiener Kongreß. 
18. September 1814. 
1. Quelle: Zwei Schreiben Friedrich von Gentz' aus Wien an den 
Fürsten Caradja, Hospodar der Walachei. 
Fundort: Tim Klein a. a. O. S. 434 und 435. 
1. Vom 11. Oktober 1814. 
Es müßte ein Wunder geschehen fast ebenso groß wie das, wodurch man 
die Macht Napoleons zum Sturze brachte, um zu bewirken, daß daraust!) ein 
Zustand vollständiger und dauerhafter Ruhe in Europa hervorgehe. Er2) wird uns 
nicht unmittelbar zum Kriege führen; denn alle Welt fürchtet einen solchen in 
diesem Augenblicke, und niemand möchte in den Augen der Welt für den An- 
stifter desselben gelten; er wird aber, wie ich es schon früher gesagt, einen 
Zustand der Dinge anbahnen, der schlimmer ist als offener Krieg, einen 
Zustand gegenseitiger Unzufriedenheit, unterdrückten Hasses, dumpfer 
Aufregung, feindseliger Projekte, die, zwar für jetzt vertagt, sich bei der 
ersten günstigen Gelegenheit Luft machen werden; einen Zustand, wobei 
keine der Großmächte den Mut haben wird, aufrichtig zu entwaffnen und jeder- 
mann sich sozusagen am Vorabende eines allgemeinen Ausbruches glauben und 
fühlen wird. Ich kann mich täuschen, indem ich dieses traurige Zukunftsbild ent- 
werfe; unvorhergesehene Zwischenfälle können eine so trübe Aussicht entweder 
ganz ändern oder wenigstens mildern; allein dies ist gegenwärtig meine Anschauungs- 
weise, und wenn sic irrig sein sollte, kann ich nur mir selbst die Schuld geben, 
denn sicherlich besitzen wenig Personen so viele Anhaltspunkte wie ich, um die 
Menschen, die Beziehungen und die Ereignisse ihrer Zeit zu beurteilen. Ich wage 
es nicht zu sagen, und niemand kann es zur Stunde genau sagen, welches Er- 
gebnis dieser schlecht entworfene, schlecht berechnete und schlecht vor- 
bereitete Kongreß haben wird, den ich als eins der schlimmsten Projekte 
unserer ereignisreichen Zeit betrachte; mit Gewißheit glaube ich jedoch be- 
haupten zu können, daß er keinen der Vorteile bringen wird, die Europa von 
dieset Versammlung zu erwarten die Gutmütigkeit hatte. Man erblickte 
wohl noch nie ein solches Gemisch von Genüssen, Herrlichkeiten und 
ernsten Beschäftigungen, und jemand, der nicht wüßte, was hier vorgeht, 
würde keine Ahnung davon haben, wenn er den täglichen Lauf der Ereignisse 
sieht, daß das Schicksal der Welt für eine lange Reihe von Jahren von den Er- 
gebnissen des Wiener Kongresses abhängt. 
2. Vom 9. Dezember 1814. 
.. Die Souveräne unterhalten sich in Wien, so gut sie können. Ein geist- 
reicher alter Mann (der Fürst von Ligne) sagte: „Le congrès danse mais il ne 
marche pas.“ „Geht der Kongreß nicht vorwärts, so tanzt er wenigstens.“ Eine 
durch ihre böse Zunge bekannte Dame der Gesellschaft machte dazu die treffende 
Bemerkung: „Wenn er nur nicht am Ende springt““ 
1) Aus dem Wiener Kongreß. 
2) Der Kongreß.
	        
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