Full text: Die Stellung des deutschen Kaisers

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uns darüber Aufschluss geben, wer im deutschen Reiche 
das Sanktionierungsorgan der Gesetze ist. Nach der 
herrschenden Meinung, die wohl hier einer besonderen 
Begründung nicht bedarf, ist „die Gesamtheit der ver- 
bündeten Regierungen“') der Träger der Staatsgewalt. 
Der Vertreter der verbündeten Regierungen ist nun einer- 
seits der Kaiser, andererseits der Bundesrat. Die über- 
wiegende Mehrheit der Souveränitätsrechte wird indess 
vom Bundesrate ausgeübt, während dem Kaiser nur ge- 
wisse Befugnisse eingeräumt sind‘), oder, um mit Brie°) 
zu sprechen, „die oberste Ausübung der Reichsgewalt 
steht im allgemeinen... dem Bundesrate zu“. Unter 
den dem Kaiser zustehenden Befugnissen befindet sich 
nicht die Sanktion der Reichsgesetze. 
Somit muss, wenn anders die Behauptung, dass die 
Frage nach dem Sanktionierungsorgan eines Staates iden- 
tisch ist mit der nach dem Träger der Staatsgewalt, ihre 
Richtigkeit hat, ein Akt des Bundesrates die Sanktion 
der Reichsgesetze darstellen. 
Abgesehen von dieser Schlussfolgerung geht indessen 
auch unmittelbar aus den positiven Bestimmungen der 
Reichsverfassung hervor, dass der eigentliche Gesetzgeber 
des Reiches d. h. der Sanktionator der Gesetze der 
Bundesrat ist. 
Denn wenn Art. 2 R.-V. mit den Worten beginnt: 
„Innerhalb des Bundesgebietes übt das Reich das 
Recht der Gesetzgebung aus“, 
so geht mit Rücksicht auf die Tatsache, dass das Reich 
aus den einzelnen Bundesstaaten besteht, in deren Namen 
die Fürsten und Vertreter der freien Städte den Reichs- 
gründungsvertrag, wenn ich so sagen darf, schlossen, 
hervor, dass die Gesamtheit der Bundesstaaten das Recht 
der Gesetzgebung ausübt. Da nun aber diese ideelle Ge- 
samtheit ihren reellen Niederschlag durch die Reichsver- 
fassung im Bundesrat gefunden hat, so folgt aus dem 
1) FürstBismarck im verfassungsberatenden Reichstage. Stenogr. 
Ber. S. 299. 
2) Dies gleichfalls die herrschende Meinung. 
3) Brie, Theorie der Staatenverbindungen S. 119.
	        
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