Full text: Sozialdemokratie, Christentum, Materialismus und der Krieg.

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mechanische Welterklärung, d. h. für einen philosophischen Materialis- 
mus kann es, wie bereits bemerkt, dem Entwicklungsprinzip zufolge 
überhaupt keine a priori-Elemente der Erkenntnis geben, und es gehört 
auch dieses zu seiner Voraussetzung, daß er die synthetischen Urteile 
a priori Kants in solche a posteriori, d. h. Erfahrungsurteile, zu 
überführen vermag. · 
Um diese Aufgabe zu lösen, muß man von den einfachen Empfin- 
dungen ausgehen, und das sind diejenigen, durch die man zu einer 
Körperempfindung kommt. In dieser Beziehung muß aber der Körper 
nicht als etwas von drei Richtungen: Länge, Breite und Tiefe ausge- 
faßt werden, sondern als eine Form mit Inhalt. Zu einer Form- 
empfindung gehören aber Licht= und Bewegungsempfindung, denn die 
Lichtempfindung bietet mir nur eine Fläche, aus der erst durch Be- 
wegung subjektiv oder objektiv eine Form wird. Um ferner noch auf 
den Inhalt zu kommen, d. h. festzustellen, ob sie fest oder flüssig ist, muß 
sie betastet werden. Um also etwas als Körper festzustellen, gebrauche 
ich drei einfache Empfindungen und zwar die Licht-, Bewegungs= und 
Tastempfindung. Da aber diese Empfindungen einzeln und unabhängig 
voneinander auf mich einwirken, muß in mir ein Faktor vorhanden sein, 
der sie irgendwie und irgendwo als Einheit verknüpft, in der sie sich mir 
als Körper vorstellt. « 
Welcher Faktor ist es nun, der aus drei einfachen Empfindungen 
eine einzige Wahrnehmung macht? Und welcher Faktor ist es ferner, 
der von dieser Wahrnehmung einen Begriff bildet und diesen beliebig 
zu Gedanken und Urteilen in mir verwendet? 
Auch hier ist es die Entwicklungstheorie, die, wenn sie zu Recht 
besteht, auf die einzige von mir entdeckte Möglichkeit hinweist, hier 
ohne metaphysische Hilfsmittel auszukommen und die materialistische 
Weltanschauung zu festigen. Wie bereits weiter oben bemerkt, kann es 
nach der Entwicklungstheorie in den verschiedenen Sinnesnerven nichts 
spezifisch Psychologisches geben; d. h. z. B., die Vorstellung eines Bildes 
geschieht zwar mit Hilfe des Auges, aber nicht im Auge, sondern im 
Nervenzentrum; denn wenn die Vorstellung im Auge stattfände, müßte 
man mit zwei Augen zwei Vorstellungen haben. Da nun die ver- 
schiedenen Sinnesnerven in der Qualität gleich sind, d. h. die gleiche 
anatomische Beschaffenheit und physiologische Tätigkeit haben, so kann 
auch ihre Unterschiedlichkeit nur in der Wellenlänge und Geschwindig- 
keit ihrer Molekularbewegung bestehen. Das heißt also, nicht nur die 
zentrifugalen und zentripetalen Neurokyme können ein resultierendes 
Neurokym bilden, sondern auch die Sinnesnerven können unter sich ein 
resultierendes Neurokym bilden, das in einer resultierenden Empfin- 
dung als Einheit zur Rußerung kommt. Die Formempfindung ist da-