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Für die Russen bedeutete diese Veränderung der Agrarverhältnisse
aber keine Verbesserung, denn eine rationelle Wirtschaft war hierbei
unmöglich, da den einzelnen vollständig die Hände gebunden waren.
Der eine konnte seine Vorzüge gegenüber dem anderen hierbei nicht
zur Geltung bringen, da sie weniger ihm und der Allgemeinheit als
seinem faulen Nachbar zugute kamen, denn einmal mußte er für letzteren
die Abgaben mit erarbeiten und anderseits war Bestimmung, daß das
Land immer wieder neu verteilt werden mußte.
Bei solcher Wirtschaftsweise konnte der tätige und unternehmende
Bauer auch keine Hypothenkenschulden aufnehmen, die einmal einen
billigeren Zinsfuß beanspruchen und ihm anderseits auch eine gewisse
Bewegungsfreiheit in der Vergrößerung, Veräußerung und Abrundung
gaben. Er mußte hingegen bei den unausbleiblichen Mißernten per-
sönliche Schulden machen, hierfür Wucherzinsen bezahlen und seine
Früchte schon auf dem Acker verkaufen und verpfänden. Eine Ver-
armung bis zum Verhungern in wirtschaftlicher und eine Verblödung
in geistiger Beziehung waren die Folgen dieser Freiheit. Und es läßt
sich nicht verkennen, daß die russische Rückständigkeit in wirtschaftlicher
Beziehung hauptsächlich auf diese Art kommunistischer Bauernwirtschaft
zurückgeführt werden muß. Diese Wirtschaft ist aber eine Folge
menschlicher Gedanken und nicht der wirtschaftlichen Entwicklung; sie
ist aber auch ein Schulbeispiel dafür, daß eine kommunistische Wirt-
schaftsweise so lange unmöglich ist und jeden Fortschritt ausschließt, bis
die Menschen durch körperliche und geistige Entwicklung zu einer voll-
ständigen Ebenmäßigkeit auf hoher Kulturstufe und damit sittlichen
Reife gekommen sind.
Eine spätere Agrarreform, die die Aufteilung des Bodens im
Gemeindebezirk zuläßt, hat bis jetzt nur den bemerkenswerten Erfolg
gehabt, daß die wohlhabenden Bauern die armen auskaufen, dieses
aber nicht, um eine rationelle Wirtschaft zu treiben, sondern um das
Land für eine extensive Wirtschaft zu verpachten und auszuwuchern. Die
Folge dieser Wirtschaft ist genau wie früher ein geringer durchschnitt-
licher Ernteertrag und eine dünngesäete stupide Bevölkerung, deren
wirtschaftliche und geistige Interessen mit dem besten Willen mit der
Ausdehnungspolitik ihrer Regierung nicht in Zusammenhang gebracht
werden können, es sei denn, daß die landhungrigen und verarmten
Bauern mit erobertem und geraubtem Land zufriedengestellt werden
sollen, um bei ihnen etwaige revolutionäre Gelüste zu dämpfen. Auf
der anderen Seite wurden durch die Proletarisierung eines Teils der
Bauern Kräfte für den Großgrundbesitz und für eine Industrie frei, so
daß der Entwicklung einer kapitalistischen Wirtschaftsform, wie sie der
Westen hat und wie sie in der Gegenwart jeder wirtschaftliche Fort-