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ist dann auch die kalte Grausamkeit zu verstehen, mit der sie als
glaubensstarke und fromme Christen eroberte Völker unterjocht, aus-
gebeutet und unter Umständen auch ausgerottet haben, denn sie haben
jene als von Gott Verdammte angesehen, denen gegenüber Rücksicht
auszuüben letzterem gar nicht einmal gefällig sein konnte. Ferner ist
auch die an Größenwahn grenzende Überhebung allen Nichtengländern
gegenüber zu verstehen, wie auch die hochmütige Nichtachtung aller nicht-
englischen Kultur.
Immerhin haben sich die Engländer dadurch ausgezeichnet, daß
sie das Sinnlose und den Mißbrauch der christlichen Religion nicht wie
die Franzosen mit philosophischen Halbheiten bekämpft haben. Sie
haben auch nicht wie die Deutschen Jahrhunderte lang ein Kompromiß
zwischen christlichem Widersinn und philosophischer Unzulänglichkeit ge-
sucht, sondern sie haben ihre politische Macht dazu benutzt, den politischen
Mißbrauch des Christentums allein mit den Lehren des ursprünglichen
Christentums zu bekämpfen und zwar. nicht nur theoretisch, sondern
praktisch. Auf diese Weise hatten sie nicht nur zur rechten Zeit scharfe
und allgemein verständliche Waffen, die ihnen einen dauernden Erfolg
sicherten, sondern sie sind auch einer weltbürgerlichen Versimpelung
frühzeitig aus dem Wege gegangen. Sie sind aber auch mit ihren
inneren fundamentalen Gegensätzen zwischen Fürst und Volk einer-
seits und zwischen Kirche und Fürst anderseits zwei Jahrhunderte
früher fertig geworden als wir Deutsche und sie konnten bereits daran
gehen, die Welt zu anglisieren, als wir neben religiösen auch noch die
unseligen partikularistischen Gegensätze auszugleichen hatten.
Dem Nützlichkeitsprinzip der englischen religiösen und politischen
Entwicklung hat sich auch diejenige der Philosophie frühzeitig angepaßt.
Schon die Philosophen englischer Herkunft des scholastischen Zeitalters.
wie Duns Skotus und Wilhelm von Occam, auf die ich im nächsten
Abschnitt zurückkomme, sind wie auch ihre Nachfolger mehr philosophie-
rende Engländer als englische Philosophen. Dem Duns Skotus ist
nicht nur die Theologie eine Erkenntnis von wesentlich praktischem
Charakter, sondern ihm ist auch nicht die Materie sondern die Form
das individualisierende Prinzip; hierbei ist aber die individuelle Eigen-
tümlichkeit, welche die Diesheit begründet, das Wesentliche und nicht
eine unsterbliche Seele, die überhaupt nur ein Gegenstand des Glau-
bens ist.
Wilhelm von Occam, der sich den Glaubensartikeln gegenüber
noch indifferenter verhält, läßt überhaupt für unser Wissen nur die
Erfahrung gelten. Er lehrt also gewissermaßen einen philosophischen
Materialismus des Diesseits, der den Glauben an ein Jenseits nicht