Full text: Sozialdemokratie, Christentum, Materialismus und der Krieg.

61 
und von diesem Gesichtspunkt hat der Engländer allein seine Kolonial- 
politik aufgefaßt. Daß letztere erfolgreich gewesen ist, geht daraus her- 
vor, daß es ihm gelungen ist, nach= und nebeneinander dem Spanier, 
dem Franzosen, dem Holländer und dem Türken Land und Leute abzu- 
nehmen, wo es nur immer möglich war. Er hat aber auch mit derselben 
Rücksichtslosigkeit und Brutalität herrenloses Land und selbständige 
Staaten eingesackt, wobei ihm in der Erreichung des Zwecks jedes 
Mittel national geheiligt war. 
Immerhin muß dem Engländer der Neid lassen, daß er die Ko- 
lonien nicht nur erworben hat, um sie schamlos auszupressen, wie es 
andere Eroberer gemacht haben, sondern er hat tatsächlich auch euro- 
päische Kultur hinverpflanzt, wenn auch mehr aus kaufmännischen als 
aus humanitären Gründen. Er hat immer die Absicht verfolgt, in den 
Kolonien Ordnung und Zufriedenheit zu schaffen, um sie nach Mög- 
lichkeit zu anglisieren und dadurch dauernd an sich zu fesseln. 
Die durch die insulare Lage bedingte Schiffahrt, das durch die 
Kolonien erweiterte Absatzgebiet, die ihrerseits billige Rohstoffe und 
Nahrungsmittel liefern, und der Steinkohlenreichtum des Landes muß- 
ten naturgemäß England zu einem Industrie= und Handelsstaat machen, 
der schließlich den Gipfel der wirtschaftlichen Freiheit in der nach Adam 
Smith von Cobden abgeleiteten Freihandelslehre des Manchestertums 
sehen mußte, die dann auch von Peel im Jahre 1846 durchgesetzt wurde. 
Letztere hat vielleicht den Glanz und Reichtum des Landes erheblich 
vermehrt; sie hat aber auch den Grund zu seiner politischen Schwäche 
gelegt. ,.. 
Die oben skizzierte Weltanschauung, die sich im Erwerb reichlicher 
Mittel und im Genuß der englischen aufs Sinnliche gerichteten Kultur 
erschöpft, kann wenig zu einer Begeisterung führen, die für die Ver- 
teidigung dieser Kultur freudig das Leben einsetzt. Der Engländer ist 
deshalb auch trotz der vielen Eroberungskriege, die er geführt hat, 
selbst wenig kriegerisch veranlagt. Er hat sich deshalb auch daran ge- 
wöhnt, seine Kriege bis auf den letzten mit fremdem Blut zu führen, 
zumal ihm dieses für Geld leicht zugänglich war. Anderseits genügte 
für die Verteidigung des Mutterlandes, das infolge der landwirtschaft- 
lichen Verkümmerung in der Magenfrage vom Auslande und von einer 
ungefährdeten Schiffahrt abhängig ist, eine überlegene Flotte. Ab- 
gesehen davon, daß eine weit überlegene Flotte die kostspielige Wehr- 
macht zu Lande und mit ihr eine allgemeine Wehrpflicht überflüssig 
machte, diente sie auch dazu, den kolonialen Besitz zu sichern, zumal zu 
ihrer Unterstützung sich England auf dem Wege nach Indien noch eine 
Anzahl hervorragender Festungen, Flottenstützpunkte und den strategisch 
wichtigen Suezkanal verschafft hatte.