Full text: Sozialdemokratie, Christentum, Materialismus und der Krieg.

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Krieg eine Bestätigung oder Widerlegung gefunden hat, d. h. wie er 
sich praktisch und theoretisch mit dem Kriege abgefunden hat. 
Nimmt man diesen Materialismus wie man das Christentum 
nimmt, d. h. in dem Sinne, daß Theorie und Praxis sich in der Gegen- 
wart nicht decken, so hat die praktische Seite unzweifelhaft ein vollstän- 
diges Fiasko gemacht und zwar ist sie an derselben Stelle gescheitert 
wie das praktische Christentum, nämlich an der Internationalität, die 
sie zur Voraussetzung hat und die einen Krieg ausschließt. 
Aber auch die Theorie ist nicht haltbar, denn ganz abgesehen 
davon, daß im Lande der allgemeinen Wehrpflicht in der Landesver- 
teidigung ein gelinder Zwang ausgeübt werden kann, so würde dieser doch 
nicht genügt haben, einen Feind zu schlagen und zu befiegen, wie er 
sich in solcher Massenhaftigkeit an unseren Grenzen auf uns ge- 
stürzt hat. 
Hierzu war außer dem Zwang der bitteren Notwendigkeit sicher 
auch ein hohes Pflichtgefühl und vor allen Dingen etwas Liebe und 
Haß erforderlich. Und zwar Liebe zu seinem Volk und Volksgenossen 
mit allen Vorzügen und Schwächen und Haß gegen das Fremdländische, 
das uns um unsere Kraft und der damit hervorgebrachten Kulturfort- 
schritte in kleinlicher Weise beneidete und sich anmaßte, uns und diese 
vernichten zu können. 
Der deutsche Sozialdemokrat ist also nicht ein Kämpfer für das 
deutsche Vaterland weil er muß, sondern weit mehr weil er kann und 
weil er gesehen hat, daß er eine Kultur verteidigt, die bei allen ihren 
Mängeln und mit allen ihren Unzulänglichkeiten denen anderer Länder 
doch weit überlegen ist. « 
Er verteidigt, mit anderen Worten gesagt, einen Kulturfort- 
schritt, der weder in der geographischen Lage unseres Landes noch in 
seinen Hilfsmitteln seine Begründung hat, denn in dieser Beziehung 
steht Deutschland hinter seinen Gegnern erheblich zurück, sondern im 
Charakter und in der Erziehung seiner Bewohner. Er verteidigt also 
den bessern Menschen sowie die Möglichkeit, daß dieser sich noch zu 
einem vollkommneren entwickeln kann und zwar auf dem von ihm als 
richtig erkannten Wege. 
Der Anhänger einer materialistischen Weltanschauung hat sich 
also, wie schon bemerkt, im Felde zu einem praktischen Idealismus 
bekehrt, der von demjenigen seiner innerpolitischen Gegner nicht im 
geringsten abweicht. 
Praktisch hat also der historische Materialismus in seinen An- 
hängern genau das Gegenteil von dem getätigt, was er lehrt. 
Ungekehrt find bei den Zurückgebliebenen und zwar vielfach auch 
bei den politischen Antipoden der Sozialdemokratie, die gerade als 
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