Full text: Sozialdemokratie, Christentum, Materialismus und der Krieg.

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*dvr weltliche und geistige Herrschaft der ganzen Erde zu ver- 
affen. - 
Zur Zeit Jesu war das Land der Juden eine römische Provinz 
unter dem Landpfleger Pontius Pilatus; außerdem herrschte über 
einen Teil von Palästina noch der König Herodes Antipas, der aus 
einer idumäischen Familie stammte, unter der die Juden besonders ge- 
plagt waren. In religiöser Beziehung unterschieden sich die Juden 
damals in drei Sekten und zwar Pharisäer, Sadduzäer und Essäer. Die 
Pharisäer waren die Strenggläubigen unter den Juden. Sie waren 
konservativ und hielten sich an den Buchstaben des alten Testaments:; 
sie wollten von keinem Messias etwas wissen, der nur ihre Weltanschau- 
ung verändern wollte. Ihnen sollte der Messias ein jüdischer König 
sein, der auf die strenge Beobachtung der jüdischen Gesetze und Vor- 
schriften besonders sah und hiernach Strafe und Belohnung austeilte 
und der sie für ihre Strenggläubigkeit, gewissenhaftes Befolgen der 
Vorschriften und Unduldsamkeit gegen Andersdenkende zu Herren der 
übrigen machte. — Die Sadduzêer hingegen waren die Freidenker, 
gewissermaßen die derzeitigen liberalen Juden. Sie hielten sich an die 
Vorschriften ihrer Gesetze aus politischen Rücksichten; sie verhielten sich 
im übrigen aber dem Inhalt des alten Testaments inbezug auf Gott 
und die Schöpfung gegenüber sehr zweifelnd. Trotzdem sie Anders- 
denkenden gegenüber toleranter waren als die Pharisäer, glaubten auch 
sie an einen kommenden Messias, der den Juden die Welt erobern 
sollte, um ihnen Macht und Reichtum zu verschaffen. — Die Essäer 
schließlich bildeten eine Sekte, die sich in religiöser Betätigung und im 
Glauben mehr an den Geist als an den Wortlaut des alten Testaments 
hielt. Sie waren nicht so strenggläubig und infolgedessen auch nicht so 
heuchlerisch als die Pharisäer. Sie bildeten im Westen des Toten Meeres 
geschlossene Gemeinden, in denen sie in Zurückgezogenheit und stiller 
Beschaulichkeit ein anspruchsloscs, ernstes und zufriedenes Dasein führ- 
ten. Auch sie glaubten an einen kommenden Messias, mit dessen Lehre 
und dessen kommenden Reich sie sich in ihren Versammlungen sehr ein- 
gehend beschäftigten. Für das Christentum haben letztere insofern 
Bedeutung, als man mit Sicherheit annehmen kann, daß Jesus sich am 
Tun und Treiben dieses Ordens zu seiner Missionstätigkeit herange- 
bildet hat, zumal er mit Johannes dem Täufer, der, wenn er auch 
Einsiedler war, doch sicher dieser Sekte nicht fern stand, nicht nur in 
geistiger Berührung gewesen ist, sondern von diesem Verkehr aus auch 
mit seinen eigenen Ansichten den Weg in die Offentlichkeit gefunden hat. 
Außer den in Palästina beheimateten Inden gab es zur Zeit 
Jesu auch noch an anderen Orten jüdische Gemeinden. Und von diesen 
war es besonders diejenige in Alexandria, die in der Geschichte der