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Chlorwasser scheint in der Wasserschen das feine Gift schnell
zu zerlegen, denn Semmola und Schönberg haben es bei 19
Personen mit Glück angewendet, indem die von einem tollen
Hunde gebissenen Wunden oft mit Chlorwasser ausgewaschen
wurven, was zum Resultate hatte, daß die Wasserscheu nicht
ausbrach.
Wenn der Arzt, welcher ansteckende Kranke zu besuchen
hat, sich alle Morgen die Hände mit Chlorwasser oder mit
einer Auflösung von Chlorkalk wäscht, so entwickelt sich den
ganzen Tag über von seiner Haut eine schwache Atmosphäre
von Chlorgas, wodurch er unstreitig gegen jede Ansteckung
geschützt wird.
Die mannigfachen und sehr positiven Resultate lassen nun
nicht den geringsten Zweifel über die Wirksamkeit des Chlor-
kalkes obwalten, und die plötzliche Zerstörung der mephitischen
hydrogenirten Substanzen durch die leiseste Berührung mit
Chlor bedarf keiner fernern Beweise mehr.
Was nun die Anwendung desselben betrifft, so muß ich
bemerken, daß wenn er in Pulver an die freie Luft gesetzt
wird, sich nur wenig Chlorgas entwickelt, und daß er, in dieser
festen Form angewendet, den erwünschten Zwecken nicht ganz
entsprechen würde.
Es ist daher besser, daß er mit etwas Wasser benett
werde, denn in diesem Falle verbindet sich die Kohlensäure
der Atmosphäre schneller mit dem Kalk, wodurch das Chlorgas
ausgetrieben wird, und in dieser letzten Beziehung kann er
wegen des langsamen Entweichens von Chlorgas als Präser-
vativmittel gegen Ansteckungen ganz vorzüglich dienen.
Wäre es aber nöthig, ein schon mit mephitischen Dünsten
sehr angefülltes Lokal zu reinigen, so müßte etwas mit Wasser
verdünnte Schwefelsäure dem Chlorkalk hinzugesetzt werden,
wodurch dann schneller eine große Quantität Chlorgas ent-
wickelt wird.
Da durch die angeführten Erfahrungen die Wirksamkeit
des Chlorkalkes auf eine unbezweifelte Weise beurkundet wird,
so veranlassen sie den Unterzeichneten, den Chlorkalk als das
beste Präservativmittel gegen die Rinderpest zu betrachten und
die allgemeine Verbreitung und Anwendung desselben dringend
zu empfehlen.
München, den 23. Februar 1829.