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Die Heilungsart besteht nun in Folgendem:
Der Kranke muß wohl in Sicherheit gebracht werden, da-
mit er weder sich noch Andern schaden könne. Man weiche dann
eine geschälte und in Scheiben geschnittene Reinette ungefähr
5 Minuten lang in einem, etwas über halb vollen Trinkglas
Wasser. Hierauf wird eine Drachme pulv. Sem. Sabadillae
(Veratrum Sabad. Retzii) dazu gethan und dem Kranken ge-
geben, d. h. man zwingt das Mittel in einem freien Augenblicke
seine Kehle hinunter. In Ermanglung des Apfels dienen einige
Tropfen acid. acetic. vel Citric.
Alsdann muß der Kranke, wo möglich, an einem Feuer,
oder an der Sonne, oder auch in einem bis auf 30% Reaumur
erwärmten Zimmer durchwärmt werden. Wenn die erste Dosis
den Leidenden nach einem kurzen Zwischenraume beruhigt, so
darf man nichts mehr geben, fährt er aber fort zu wüthen, so
muß er eine zweite Gabe erhalten, welche ihn ohne Zweifel zur
Ruhe bringen wird. Ein tiefer Schlaf erfolgt hierauf, der nach
der Stärke der Constitution des Patienten 24— 48 Stunden
dauert. Nach Verlauf dieser Zeit tritt heftiges Vomiren und
Purgiren ein, welche Ausleerungen — schwarz und heftig stin-
kend — so lang anhalten, bis alles Gift ausgeworfen ist; dann
erst kehrt der Kranke zu seinen Sinnen zurück, verlangt zu
essen und ist vollkommen wieder hergestellt.
Folgende Bemerkungen zu dieser Heilungsart werden die-
selbe in ein näheres Licht stellen:
1) der wirksame Stoff in der Sabadill ist ein (im Jahre
1819 von Meißner, Pelletier und Cavendon entdecktes)
Alcaloid-Sabadillin, welches mit Colchicin und Veratrin iden-
tisch zu sein scheint, aber an einen Ueberschuß von Gallussäure
gebunden ist. Die Reinette theilt nun dem Wasser Apfelsäure,
weuig Weinsteinsäure und Citronensäure mit; durch diese Säuren
wird das an Gallussäure gebundene Alcaloid zersetzt, welches
aus seiner Verbindung mit dem Gerbestoff in die mit jenen
Säuren eingeht, und dadurch wirksam gemacht wird.
2) Bei dem bis 48 Stunden lang anhaltenden ohnmacht-
ähnlichen Schlafe, welcher nach dem Gebrauche des Mittels
eintritt, ist es höchst gewiß, daß mit der verminderten Nerven-
strömung die Wärmeentwicklung gleichfalls aufgehoben oder ver-
mindert sein muß. Da das Leben aber nicht ohne Wärmestoff
bestehen kann, und die Wärme jeden Proceß im Organismus