Aus den Jahren 1850 bis 1866 97
Frühstück empfingen. Die Toilette wurde nun teils in den Zelten und
teils vor der Tür gemacht, und jetzt pflegt alles der Ruhe.
Den Abend, nachdem wir im Freien gegessen hatten, begaben
wir uns in unsern Salon, d. h. wir legten uns auf einen großen
Haufen Stroh neben einem mächtigen Feuer und betrachteten die ver-
schiedenen Sternbilder.
Montag 1. Oktober.
Nach Tisch zum Grafen Chreptowitsch in Sciorsz. Er hatte neue
Zeitungen und teilte uns die Niederlage Lamoricières mit. 1) Seine Salons
sind groß und im Stile Louis XVI. gebaut. Ein Bild seines Groß-=
vaters, des polnischen Reichskanzlers, fiel mir durch die Auffassung und
durch das interessante Gesicht des Mannes auf. Unfre Zimmer waren
ganz nach englischer Art eingerichtet. Die Frösche, die auf dem Vorplatze
herumhüpften, kamen glücklicherweise nicht hinein.
Am 13. Oktober kam der Kaiser nach Wilna. Sonntag den 14. war
die große Parade. Auf dem großen Exerzierplatze standen acht Kavallerie-
regimenter und einige Infanterieregimenter. Auch etwas Artillerie war
dabei. Zufällig stand ich in der Nähe des Regiments „Prinz Karl von
Preußen“, als der Inhaber die Truppen begrüßte. Bald kam auch der
Kaiser mit glänzendem Stabe und ritt unter Hurra die Front ab. Dann
begann das Defilieren. Als alles vorüber war, fuhr ich nach Werki zurück,
wo inzwischen die Prinzen Karl und Albrecht von Preußen und Friedrich
von Hessen ihren Besuch angemeldet hatten. Sie erschienen bald mit
ihren Adjutanten, sahen alles an, frühstückten im großen Saale und
fuhren dann wieder nach Wilna. Der Adjutant des Prinzen Albrecht
hatte ein Notizbuch, in welches er alles eintrug, was sein Prinz
gesehen hatte, ausgestopfte Vögel, Bilder u. s. w., damit sein Prinz
später wieder daran erinnert werden kann.
Abends war Ball bei dem Gouverneur. Alles war Uniformen und
elegante Toiletten, die Nichtmilitärs in Zivil. Von alten Bekannten be-
grüßte ich Leon Radziwill, Graf Alexander Adlerberg und mehrere
preußische Offiziere. Als der Kaiser kam, stand ich zufällig neben einer
alten Gräfin Choiseul, mit welcher der Kaiser zuerst sprach, und wurde
deshalb auch alsbald begrüßt und mit einigen wohlwollenden Aeußerungen
beglückt, was mir den Neid aller anwesenden „Reußen“ zuzog. Die
fragliche Dame hatte auf ihrem grauen Kopfe eine Art Spange oder
Brasselett über der Stirne, an beiden Enden zwei Granatsteine, von den
1) Die Niederlage der päpstlichen Truppen bei Castelfidardo am 18. Sextenber.
Fürst Hohenlohe, Denkwürdigkeiten. 1