Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Erster Band. (1)

Aus den Jahren 1850 bis 1866 115 
ist, und daß sich in kleinlichen, beschränkten Verhältnissen der Horizont des 
Individuums verengert und damit Tatkraft, gesundes Urteil und Charakter- 
stärke zugrunde gehen und einer spießbürgerlichen Weichmütigkeit, einem 
ungesunden Kosmopolitismus Platz machen, so kann man nicht leugnen, 
daß der Ruf nach deutscher Einheit, wie er sich in den mittleren und 
kleineren deutschen Staaten erhebt, nichts andres ist als das Streben 
eines Kranken, der des Uebels sich bewußt nach dem Heilmittel verlangt, 
das ihn vom Untergange retten kann. 
Es gibt philosophische Sozialpolitiker, die uns das Wort entgegen- 
halten werden: die Deutschen sind ein Kulturvolk, weniger berufen zum 
Eingreifen in die äußeren Geschicke der Welt als zur Pflege der geistigen 
Entwicklung und zur Lösung der großen Fragen der Menschheit. Wer 
sich damit tröstet, dem wünschen wir die Resignation der Juden. Denn 
auch die Juden waren ein Kulturvolk. Zu dieser Resignation haben wir 
es noch nicht gebracht. Wir glauben, daß das deutsche Volk noch nicht 
so tief gesunken ist, um sich mit dem Bewußtsein, ein Kulturvolk zu heißen, 
über seine politische Machtlosigkeit zu trösten. 
Reise nach Schlesien und Berlin im Winter 1862. 
Der Zweck meiner Reise war ein doppelter. Einmal die Frage wegen 
des Verkaufs von Treffurt in Rauden zu besprechen und ferner erst mit 
Viktor wegen des Herrenhauses zu sprechen und dann später in Berlin 
dasselbe Thema in Ordnung zu bringen, womit sich auch noch weitere 
Pläne in Verbindung bringen ließen. 
In Rauden kam ich am 31. Dezember an, fuhr dort sogleich bei 
grimmiger Kälte auf die Saujagd, ohne etwas zu schießen. 
Den andern Tag war großes Neujahrsdiner, wo dann auch Justiz- 
rat Engelmann und Wiese erschienen, mit denen ich die Treffurter Sache 
absprach. 
Nachdem ich noch in Rauden einige Tage mit Jagen zugebracht hatte, 
kam Karl von Koschentin. ) Mit ihm hatte ich noch einige interessante 
Gespräche über die gegenwärtige politische Lage Preußens. 
Er gesteht wie alle übrigen gescheiten Leute in Preußen, daß der 
Regierung nichts übrigbleibe, als sich entweder mit Energie an die Spitze 
der Bewegung zu stellen oder eine mehr konservative Haltung einzunehmen. 
Mit der bloßen liberalen Gutmütigkeit kann die Regierung bloß das er- 
reichen, daß sie es mit den Herren und den Demokraten gleichzeitig ver- 
dirbt, wie dies auch die Erfahrung bei den Wahlen gezeigt hat. Diese sind 
aus drei Gründen so demokratisch ausgefallen: 
  
  
  
1) Prinz Karl zu Hohenlohe--Ingelfingen (1820 bis 1890).
	        
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