Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Erster Band. (1)

118 Aus den Jahren 1850 bis 1866 
Berlin, 21. Januar 1862. 
Heute Abend war ich wieder bei der Königin zum Tee. Ich hatte 
mit ihr ein längeres Gespräch über Literatur und Literatentum, bei 
welcher Gelegenheit sie sehr vernünftige Ansichten über den Umgang mit 
Gelehrten und die Gefahren dieses Umgangs kundgab. Der König kam 
wie immer etwas später, war recht heiter und mitteilend, saß aber entfernt 
von mir, so daß ich ihn nur gegen Ende der Soiree einen Augenblick 
sprechen konnte. 
24. Januar. 
Heute Mittag ließ mir die Königin sagen, ich solle um ½4 Uhr 
„im Morgenanzuge“ zu ihr kommen. Da ich wußte, daß trotz aller 
anglomanen Tendenzen der Ueberrock doch noch nicht als Morgenanzug 
bei Hofe eingeführt ist, so zog ich den Frack an und erlaubte mir nur 
die schwarze Halsbinde. Die Königin war aber noch spazieren gefahren 
und hatte die Gräfin Haacke beauftragt, mir unterdessen Gesellschaft zu 
leisten. 
Um 4 Uhr kam die Königin, entließ die Gräfin, setzte sich, wie sie 
war, in Hut und Mantel an einen Tisch im Fenster und bedeutete mir, 
mich an das andre Ende des Tisches zu setzen. 
Sie sagte, sie habe gewünscht, mir einige Fragen vorzulegen, die ich 
ihr ganz offen ohne Rücksicht darauf, was und wer sie sei, als alter Be- 
kannter beantworten solle. Sie sei früher durch den Fürsten von Hohen- 
zollern mit der Politik in Verbindung gewesen. Dessen Gesundheits- 
umstände hätten aber seine Entfernung unumgänglich nötig gemacht. Sie 
mische sich gar nicht in politische Dinge, sie sehe die Minister nur zum 
Tee, könne also von ihnen nichts erfahren. Sie gestehe mir offen, daß 
sie sehr niedergeschlagen sei. So schlimm habe sie sich das Regieren nicht 
gedacht, so trostlos habe sie nicht geglaubt, daß ihr die Verhältnisse in 
ihrer neuen Stellung und nach kurzer Zeit erscheinen würden. Der König 
sei irritiert und mißgestimmt, man sehe allgemein schwarz in die Zukunft, 
die Menschen, mit denen man zu tun habe, die Führer der Parteien, 
schienen ihr so unangenehm, so wenig Gentlemen nach dem englischen Be- 
griffe, alles stehe sich so schroff gegenüber, daß sie beunruhigt sei, besonders 
da ihr von allen Seiten die Verhältnisse als bedenklich geschildert würden. 
„Wir, der König und ich,“ fuhr sie fort, „sind alte Leute, wir können 
am Ende nichts mehr tun, als für die Zukunft arbeiten. Aber für unsern 
Sohn wünschte ich eine glücklichere Lage voraussehen zu können.“ 
  
Herzog von Ratibor: „Es käme mir indelikat vor, mich bei Seiner Majestät um 
eine Stelle im Herrenhaus zu bewerben, wenn ich voraussehen zu müssen glaubte, 
daß ich über kurz oder lang mit den Allerhöchsten Orts gehegten Ansichten in Wider- 
spruch geraten würde.“
	        
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