Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Erster Band. (1)

122 Aus den Jahren 1850 bis 1866 
haut, le servilisme en bas, la dépravation partout.“ Dieser Egoismus, 
das Grundübel unfrer Zeit, gebe sich in drei Strömungen kund: als 
Habsucht, Sinnlichkeit und Hochmut. Diesem Egoismus wirkten die Kar- 
meliterinnen entgegen, indem sie das Gelübde der Armut, der Keuschheit 
und des Gehorsams ablegten. Es war eine wohldurchdachte und gut vor- 
getragene Predigt. 
24. Februar. 
Heute abend waren wir bei Galiera, wo sich die Gesellschaft des 
Faubourg St. Germain vereinigt fand. Auch Thiers war da, ebenso 
Montalembert und der ehemalige Minister Graf Duchätel. Der Duc de 
Valencay, der von Berlin angekommen war, erzählte von der dort herrschenden 
Stimmung. Ein alter M. de Pontois beklagte den Mangel der Einigkeit 
in Deutschland. Canofari, ehemaliger Gesandter des Königs von Neapel, 
geht mit mißgestimmtem Gesicht umher. Er ist ein gescheiter Diplomat, 
der aber wohl umsonst auf die Wiederherstellung des Königreichs Neapel 
wartet. Man spricht viel von den Szenen, die im Senat stattgefunden 
haben. Die Rede des Prinzen Napoleon 4) beschäftigt alles. Ich habe 
die Ueberzeugung, daß diese Rede nicht ohne die Zustimmung des Kaisers 
gehalten worden ist, obgleich gestern der Duc de Tacher und Duc de 
Bassano versicherten, man solle nicht glauben, daß der Kaiser diese An- 
sichten teile. Im Gegenteil, der Kaiser fühlt, daß die Besetzung von Rom 
ihm bei der demokratischen Partei schadet, und hat diese Gelegenheit benützt, 
um durch seinen Vetter der Demokratie eine Konzession machen zu lassen, 
um ihr Sand in die Augen zu streuen. 
Paris, 9. März. 
Die deutsche Frage beschäftigt zur Zeit alle Staatsmänner nicht nur 
in Deutschland, sondern in ganz Europa. 
Es ist dies auch ganz natürlich. Jede Frage der Gegenwart, die 
von der Revolution ausgebeutet wird, muß die Aufmerksamkeit denkender 
Männer in um so höherem Grade beschäftigen, je begründeter die Klagen 
und Mißstimmungen sind, die diesen „Fragen“ zugrunde liegen. Was 
man heutzutage „Fragen“ nennt, sind große Bewegungen, Oszillationen 
der Menschheit, Rätsel, die gelöst werden müssen. Die deutsche Frage ist 
nicht bloß in den Köpfen der Demagogen entstanden, sie ergibt sich aus 
der Natur der Dinge und durchdringt die Männer aller Parteien in 
Deutschland. Denn ein ganzes Volk, dessen einzelne Stämme, verbunden 
durch gemeinsame Sprache und Literatur, bewegt durch gleiche Interessen, 
infolge der erleichterten Verkehrsmittel mit jedem Tag in immer engere 
  
1) Bei der Adreßdebatte im Senat hatte der Prinz Napoleon am 22. Februar 
eine sehr heftige Rede gegen den legitimistischen Grafen Laroche Jaquelein gehalten.
	        
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