Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Erster Band. (1)

128 Aus den Jahren 1850 bis 1866 
ihn in dieser Klemme zu sehen, die ich den bayrischen Herren schon lange 
vorausgesagt habe. Ich bin neugierig auf den König, der auf einmal 
ungeheure preußische Sympathien haben soll. 
Nachmittags 5 Uhr begab ich mich mit Mülhens und dem Prinzen 
Bernhard Solms, mit dem ich gegessen hatte, in das Beifußsche Haus, 
von dessen Balkon wir den Einzug des Kaisers mitansehen wollten. 
Um 6 Uhr kam der Kaiser in einer offenen zweisitzigen Kalesche. Da 
man geglaubt hatte, er werde mit großem Gefolge mit acht Pferden u. s. w. 
kommen, so erkannte ihn niemand, und er fuhr ohne Hurra vorbei. Nur 
Frau von Bethmann auf unserm Balkon warf einige Bukette hinunter, 
die aber, glücklicherweise für den Kaiser, nicht in den Wagen fielen. 
Abends wanderten wir noch in den Straßen umher, und um 9 Uhr 
fuhr ich zur Madame Metzler, wo ich bis 11 Uhr blieb. Ich kam gerade 
nach Hause, als der König von Hannover anfuhr. 
Heute den 16. großes Treiben auf den Straßen, die Souveräne be- 
suchen sich gegenseitig, das Publikum staunt und kritisiert. 
Die Situation scheint jetzt folgende: Oesterreich wird ein Delegierten- 
projekt vorlegen, über dessen Detail noch nichts bekannt ist. Der Herzog 
von Koburg und Herr von Kerstorf sollen die Idee dazu gegeben haben. 
Der König von Bayern und der Großherzog von Baden sind nicht 
günstig gestimmt. Württemberg will annehmen. Von Hannover weiß ich 
nichts. Die Oesterreicher sind bei der Sache am sichersten. Kommt nichts 
zustande, so können sie sagen: wir haben alles tun wollen, aber die deutschen 
Souveräne wollen nicht. Entsteht dann Unzufriedenheit, Revolution u. s. w., 
so ziehen sie sich in ihren Gesamtstaat zurück und fischen im trüben. 
Stimmen aber die Souveräne zu, so steht Oesterreich an der Spitze seines 
ersehnten Siebzigmillionenreichs. Insofern ist der Coup sehr geschickt, ob 
im Interesse von Deutschland, ist eine andre Frage. 
Nachmittags. 
Es scheint, daß das Projekt der künftigen Verfassung doch nicht so 
übel ist: ein Direktorium, Fürstenrat, darin eine Stimme für die Reichs- 
unmittelbaren, dann Delegiertenhaus mit ziemlich weitgehenden Befugnissen. 
An Preußen will man dann eine Deputation der Fürsten senden, um es 
zum Beitritt aufzufordern. Morgen wird also die erste Beratung sein. 
Gott gebe, daß der Widerspruch, der sich erheben wird, nicht zu einem 
Zerfall des Ganzen führe! 
Mein Tag wurde großenteils auf der Straße zugebracht. Ueberall 
traf ich Minister und Diplomaten, Apponyi von London, Larisch, 
Schrenck u. a. Dem Herzog von Augustenburg machte ich meinen Besuch 
im „Englischen Hof". 
Abends Ermüdung und Spaziergang im Zoologischen Garten.
	        
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