146 Aus den Jahren 1850 bis 1866
Preußen für zweckmäßig halten, wenn diese Staaten, den gegebenen tat-
sächlichen Verhältnissen Rechnung tragend, sich nicht allein der Konstituierung
der dritten Staatengruppe nicht entgegenstellten, sondern ihren Einfluß
geltend machten, um dieselbe formell zustande zu bringen. Unter diesem
Einfluß würde sowohl die Abneigung der einzelnen deutschen Souveräne
in den Hintergrund treten, als auch die Sympathien und Antipathien der
demokratischen Partei an Bedeutung verlieren. Ich glaube, die deutschen
Großmächte würden damit die Ruhe von Deutschland und Europa auf
lange Jahre sichern, indem sie eine Hauptursache der Unruhe und Un-
zufriedenheit in Deutschland beseitigten.
Ich sehe keine andre Lösung des deutschen Rätsels. Man wird nie
zum Ziel kommen, wenn man den tatsächlichen Verhältnissen nicht die
nötige Rechnung trägt. Zu diesen gehört vor allem der indioviduelle
Charakter der deutschen Volksstämme und die Zähigkeit, mit der sie an
ihren Stammeseigentümlichkeiten festhalten. Das Gleichmachen in politi-
scher und sozialer Beziehung geht in Frankreich und Italien, wo der
Nationalcharakter eine größere Gleichförmigkeit, weniger individuelle Selb-
ständigkeit hat. Wie aber in Deutschland die Volksstämme noch deutlich
zu unterscheiden sind, in die sich Deutschland in der Zeit Karls des
Großen teilte, wie noch heute die Württemberger den alemannischen und
suevischen, die Bayern den bojoarischen Charakter beibehalten haben, wie
man das lebhafte Wesen der Franken in Mitteldeutschland, das gemessene
und tüchtige der Sachsen unter der westfälischen und hannoverschen Be-
völkerung erkennt, so hat im allgemeinen das, was man gewöhnlich Par-
tikularismus nennt, in dem deutschen Nationalcharakter seine feste Wurzel
und ist mit Theorien nicht auszutilgen.
Da wo, wie in Preußen und Oesterreich, der Einfluß der Slawen
sich geltend gemacht hat, ja teilweise überwiegend vorherrscht, ist die staat-
liche Vereinigung und Gleichmachung leicht gewesen. In dem von dem
slawischen Elemente unberührten Teile des südlichen und westlichen Deutsch-
lands ist die Zersplitterung geblieben, weil sie durch den Volkscharakter
bedingt ist. Diese Staaten zu einer nur einigermaßen praktischen föderativen
Verbindung zusammenzubringen, wird schwer, aber immer noch leichter sein,
als sie einem Staat wie Preußen oder Oesterreich in irgendwelcher Form,
ob staatlich oder bundesstaatlich, zu inkorporieren. In politischen Dingen
ist aber immer nur das Mögliche zu erstreben, so schmerzlich es sein mag,
liebgewordene theoretische Pläne aufzugeben.
Wenn ich schließlich zusammenfassen soll, womit sich zurzeit das
Publikum in Deutschland beschäftigt, was den Gegenstand der Unterhaltung
politisch gebildeter und ungebildeter Menschen ausmacht, so sind dies
folgende Punkte: