Aus den Jahren 1850 bis 1866 165
und Gustav Castell, denen sich andre anschlossen. Da stand man und
politisierte eine Stunde. In der Briennerstraße fand ich Gräfin Lerchen-
feld mit sechs alten Damen, die mich umringten und ebenfalls politische
Diskussionen begannen. Dann zog ich mit den Damen nach der Redaktion
der „Bayrischen Zeitung“", um das Extrablatt zu kaufen, wo aber nichts
Neues zu lesen war. Man fängt an hier einzusehen, daß wir uns wohl
blamieren dürften. Die Zögerung Pfordtens in diesem Winter trägt ihre
übeln Früchte. Es kommt mir vor, als wenn wir uns zwischen zwei
Stühle zu setzen im Begriff wären. Vielleicht wird jetzt das bayrische
Armeekorps energisch vorgehen. Frau von der Tann behauptet es. Es
ist zu hoffen, doch wäre es besser gewesen, unter dem Eindruck der ersten
günstigen Gefechte in Böhmen und der Nachricht von Italien vorzurücken
und die Hannoveraner zu entsetzen. Jetzt ist dieser günstige Augenblick
versäumt, und ich kann es der „Ostdeutschen Post“ nicht übelnehmen,
wenn sie über Bayern loszieht.
Der König ist wieder in Berg. Die „Bayrische Zeitung“ verkündet,
zur Verbindung mit den Ministern werde jetzt ein Telegraph errichtet
zwischen Berg und München, auch bleibe Staatsrat Pfistermeister zu dem
Zweck des beschleunigten Verkehrs des Königs mit den Ministern hier
in München!
München, 5. Juli 1866.
Die Nachrichten aus Böhmen bringen hier eine sehr niedergeschlagene
Stimmung hervor. Dazu kommt, daß die bayrische Armee aus purer
Unfähigkeit ihrer Führer den Hannoveranern nicht zu Hilfe gekommen ist.
Die „Bayrische Zeitung“ entschuldigt dies damit, „daß man im Haupt-
quartier nicht gewußt habe, wo die Hannoveraner seien". Kann man sich
etwas Absurderes denken?! In unserm Kriegsministerium geht es nach
altem bureaukratischen Schlendrian her. Selbstzufriedenheit und Lang-
samkeit überall. Der Kriegsminister von Lutz ist, soviel ich in den Aus-
schußsitzungen der Kammer der Reichsräte beurteilen konnte, ein Mann
von sehr geringen geistigen Fähigkeiten. Ein solcher Mann, der sich noch
dazu neulich seinen Kopf beim Aufsteigen aufs Pferd an die Tür anrannte
und dadurch noch unfähiger wurde, leitet jetzt die bayrische Armeeverwaltung.
Prinz Karl ist ein alter ängstlicher Herr, die Generalstabsoffiziere sind
zum Teil nicht gescheiter als der Minister. Ich sehe mit Schrecken auf
den Fortgang des Krieges. Gut ist es wenigstens, daß unsere bayrischen
Soldaten ganz besonders rauflustig sind, insbesondere wenn sie gut genährt
werden. Es ist möglich, daß die Soldaten das wieder gutmachen werden,
was ihre Führer verfehlen.
Hier, wo man schon in ruhigen Zeiten keine andre Erholung kennt,
als zu räsonieren, nimmt das Schimpfen und Besserwissen kein Ende.