Aus den Jahren 1850 bis 1866 191
Um 7 Uhr ging ich zu Pfretzschner, !) den ich in seinem Ministerium
fand. Ich teilte ihm den Zweck meines Besuches mit. Er sagte, er wisse
schon durch Schlör von meinem Programm. Er gestand, daß ihm besonders
daran gelegen sei zu wissen, daß mein Programm die Selbständigkeit Bayerns
betone. Er ist gegen den Eintritt in den Norddeutschen Bund, über die
Frage des Süddeutschen Bundes verhielt er sich reserviert. Allianz mit
Preußen, Unterordnung unter Preußens Führung im Fall des Krieges
unter Garantien gab er zu. Doch wollte er die Freiheit Bayerns gewahrt
wissen, auch anderweitige Bündnisse abzuschließen. Dann kam er auf meine
Rede, gestand zu, daß sie zu verschiedenen Auslegungen Veranlassung gebe,
daß sie aber gewisse Befürchtungen erweckt habe. Die bayrische Partei
könne eben nicht glauben, daß es die Fortschrittspartei mit ihrer Versicherung,
die Unabhängigkeit Bayerns nicht antasten zu wollen, ernst meine.
Dann kam er auf die Frage der Solidarität der Minister, daß sie sich
stets an Pfordten angeschlossen hätten, ein Herz und eine Seele gewesen
wären. Wenn nun der Ministerwechsel eine Aenderung der Politik
bedeute, so müsse er sich fragen, ob er dann bleiben könne. Ich verwies
ihn auf die Worte meines Programms, sagte, daß Schlör und Lutz sich
damit einverstanden erklärt hätten. Er deutete an, daß dann ein neues
Programm verfaßt werden könnte, was ich aber, nachdem ich nun meine
Grundsätze dem König vorgelegt habe, als unzweckmäßig ablehnte, um
so mehr, als man mir ohnedies vorwerfe, mein Programm jeden Tag zu
ändern.
Heute, Sonntag den 30., war Morgens Dr. Lang bei mir, der mir
interessante Mitteilungen über die Einrichtung von Preßbureaus machte und
dem ich mit wenigen Worten mein Programm mitteilte. Er wird das
für seine autographische Korrespondenz verwerten. Dann kam Marquardsen
aus Erlangen, dem ich ebenfalls meine Grundsätze mitteilte, und von dem
ich hörte, daß er damit ganz einverstanden ist, und mir auch die Zu-
stimmung seiner Freunde in Aussicht stellte. Dann kam Schanzenbach, der
in seiner etwas poetischen Weise politisierte und namentlich Tauffkirchen als
den geeignetsten Minister des Innern bezeichnete. Abends kam Tauffkirchen
zu mir, um mir verschiedene Flöhe ins Ohr zu setzen. Zunächst behauptete
er, es seien wieder Schwankungen im Kabinett eingetreten, es scheine, daß man
wieder von mir abgehen wolle, und man scheine zu erwarten, daß ich selbst
dem König die Mittel an die Hand gebe, mit der Feststellung des Ministeriums
bis nach dem Landtag zu warten. Dann kam er auf die Gefahren, die
mir drohten, wenn ich in dieses Ministerium einträte, ich würde mich ab-
nützen, endlich kam er darauf, ich möchte lieber Völderndorff ins Ministerium
1) Finanzminister.