214 Das bayrische Ministerium (1867 bis 1870)
Lösung der schwebenden Frage schon in seinem Beginne ein verfehlter sein
würde. Zur Begründung dieser Ansicht erlaubt sich der treugehorsamst
Unterzeichnete an die letzten Wochen zu erinnern, in welchen umlaufende
Gerüchte genügt haben, eingeleitete Vorbesprechungen mit dem Großherzog
von Baden und dem württembergischen Minister von Varnbüler ins
Stocken zu bringen und die Partei, welche in Karlsruhe auf Eintritt in
den Norddeutschen Bund hinarbeitet, zu kräftigen.
Diese Erwägungen müssen daher dem treugehorsamst Unterzeichneten
die Pflicht auflegen, Eurer Königlichen Majestät den Standpunkt, den er
bei den bevorstehenden Unterhandlungen einzunehmen für nötig findet, schon
jetzt mit aller Offenheit und mit möglichster Genauigkeit vorzulegen.
Nur wenn Eure Königliche Majestät diesen Standpunkt im wesent-
lichen zu genehmigen geruhen, ist der treugehorsamst Unterzeichnete in der
Lage, die ihm allergnädigst übertragene Aufgabe zu erfüllen, und er kann
um so hoffnungsvoller ans Werk gehen, je bestimmter und zweifelloser die
Form ist, in welcher ihm Eure Königliche Majestät diese Uebereinstimmung
zu erkennen zu geben geruhen würden.
Die Gefahr, welche dem Königreiche durch die Fortdauer des gegen-
wärtigen Zustandes droht, ist eine doppelte:
1. Jede europäische Verwicklung, sie mag für die eine oder die andre
europäische Großmacht günstig ausgehen, wird, wenn sie Deutschland berührt,
für den Bestand Bayerns und seine Selbständigkeit die größte Gefahr
bringen.
2. Das Streben des deutschen Volkes, den nationalen Gedanken auch
gegen den Willen der Regierungen zu verwirklichen, kann zu inneren Kämpfen
führen, bei welchen die Dynastie bedroht wäre.
Es muß also die Aufgabe der Staatsregierung sein:
1. Bündnisse zustande zu bringen, durch welche der Gefahr europäischer
Verwicklungen vorgebeugt wird, und
2. eine nationale Einigung Deutschlands anzustreben, welche den
berechtigten Forderungen der Nation genügt, ohne die Souveränitätsrechte
Eurer Königlichen Majestät oder die Integrität Bayerns zu beeinträchtigen.
Je weniger es bestritten werden kann, daß Bayern im gegenwärtigen
Augenblicke noch in der Lage ist, jedes dieser Ziele zu verhindern, um
so unzweifelhafter erscheint es, daß Bayern für Erreichung dieser Ziele ein
sehr gewichtiges Wort mitzusprechen vermag.
Diese Möglichkeit beruht aber in Umständen vorübergehender Natur,
und die gebotene Gelegenheit dürfte nur eine kurzgemessene sein.
Mit dem Eintritt einer allgemeinen europäischen Verwicklung, mit
dem Ausbruch einer intensiven nationalen Bewegung in Süddeutschland
ist diese Gelegenheit unwiederbringlich verloren. Aus diesen Erwägungen