242 Das bayrische Ministerium (1867 bis 1870)
Staaten oder eines derselben an den Norddeutschen Bund einen Bruch
des Prager Friedens begründe.
Ich kann keine dieser beiden Auffassungen als richtig anerkennen.
Der Artikel IV des Prager Friedens enthält zwei Hauptsätze:
1. die Anerkennung des Rechts der deutschen Staaten, einen nationalen
Bund an Stelle des früheren Deutschen Bundes mit Ausschluß von Oester-
reich zu bilden,
2. die Beschränkung dieses Rechts durch die Verpflichtung Preußens,
den Staaten südlich des Mains innerhalb dieses Bundes eine internationale,
unabhängige Existenz zu lassen.
Der in einer international unabhängigen Existenz einzelner Staaten
innerhalb eines nationalen Bundes liegende Widerspruch löst sich durch
einen Rückblick auf das frühere Bundesrecht, namentlich Artikel II der
Bundesakte vom 8. Juli 1815, 1) welcher die Selbständigkeit der den
Beschlüssen der Bundesversammlung unterworfenen einzelnen Staaten
anerkennt.
Eine Einigung der süddeutschen Staaten mit Norddeutschland auf den
Grundlagen, auf denen auch die frühere Bundesakte beruhte, ist demnach
dem Prager Frieden nicht zuwiderlaufend. Eine solche Einigung glaubt
die bayrische Regierung auch ohne vorherige Gründung eines südwest-
deutschen Staatenvereins anstreben zu können, ohne hierdurch die mit der
Abweichung von den Grundsätzen des Prager Friedens verbundene Ver-
antwortung auf sich zu laden.
Erachtet sich die Königliche Regierung hiernach vollkommen berechtigt,
auch ohne vorherige Zustimmung andrer Regierungen auf dem von ihr
betretenen Wege vorzuschreiten, so mußte ihr doch der Rat der Kaiser-
lichen Regierung, eine rein zuwartende Stellung einzunehmen, die Ver-
pflichtung auferlegen, die Frage der Opportunität, der tatsächlichen
nationalen und politischen Rücksichten wiederholt und reiflich zu prüfen.
Bayern, welches durch die Ereignisse des letzten Jahres aus Deutschland
sicherlich nicht ausgeschieden ist, hat die nationale Pflicht und Aufgabe,
das zerrissene nationale Band sobald möglich neu zu knüpfen. In dem
Gefühle dieser Pflicht stimmt die Regierung mit dem weitaus größten Teile
des Volks überein.
Bayern hat, wie aus dem Wortlaut des Artikels I der Punktation
vom 6. Mai 1867 erhellt, nicht die Absicht einer Initiative in dieser
Beziehung, sondern glaubt solche dem Norddeutschen Bunde überlassen
zu sollen.
1) „Völkerrechtlicher Verein der deutschen souveränen Fürsten und freien
Städte“", B. A. 1, 2.