Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Erster Band. (1)

274 Das bayrische Ministerium (1867 bis 1870) 
tatsächliche einigende Gemeinschaft für die praktischen Aufgaben und In- 
teressen der Nation. Die offiziöse „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ rühmte 
die antidualistische Tendenz in der Rede des Fürsten, bemerkte bezüglich 
der Ablehnung des Eintritts in den Norddeutschen Bund, daß Preußen 
keine Anstrengungen machen würde, diesen Entschluß zu ändern. Ueber 
die Aeußerungen betreffend die Bildung eines Staatenbunds zwischen 
Norddeutschland und den süddeutschen Staaten sowie über die Allianz mit 
Oesterreich seien weitere Aufklärungen abzuwarten. Gegenüber der Er- 
klärung, daß dieser Staatenbund den ganzen Süden umfassen müsse und 
daß kein einzelner süddeutscher Staat eine nähere Verbindung mit dem 
Norddeutschen Bunde eingehen dürfe, wurde betont, daß in dieser Beziehung 
jeder einzelne süddeutsche Staat seine freie Entschließung haben müsse. 
In der Kammer der Abgeordneten begegnete die Regierungsvorlage keinen 
wesentlichen Schwierigkeiten. Der Gesetzentwurf betreffend die Wahl der 
Abgeordneten zum Zollparlament schrieb die Wahlberechtigung jedem zu, 
„der dem Staate eine direkte Steuer entrichtet"“. Gegen diese Beschränkung 
des allgemeinen Stimmrechts wendete sich ein Antrag der Abgeordneten 
Kolb und von Stauffenberg, daß „jeder selbständige Angehörige des 
bayrischen Staats“ Wähler sein solle. Der Antrag wurde von der Kammer 
abgelehnt. Am 22. Oktober wurde die Vorlage in der Kammer der Ab- 
geordneten mit 117 gegen 17 Stimmen angenommen. 
Anders entwickelten sich die Dinge in der Kammer der Reichsräte. Der 
Ausschuß dieser Kammer hatte die Regierungsvorlage mit neun gegen eine 
Stimme verworfen. Am 26. Oktober fand die Verhandlung im Plenum statt, 
deren ungünstiger Verlauf außer Zweifel stand. Diese Aussicht bewog den 
Fürsten, einem Amendement des Fürsten Löwenstein-Wertheim-Rosenberg, 
welches wenigstens die Gefahr einer sofortigen end gültigen Ablehnung zu be- 
seitigen versprach, freundlich zu begegnen. Das Amendement lautete: „In 
Erwägung, daß die Kammer der Reichsräte stets bereit sein wird, dem Fort- 
bestehen des Zollvereins und dem großen Nutzen, den derselbe dem Lande 
gewährt, Opfer zu bringen, sobald dieselben sich nur auf dem Boden der 
materiellen Interessen bewegen, nicht aber, wenn sie die Selbständigkeit 
Bayerns in Gefahr stellen, beschließt die Kammer, den vorliegenden Ver- 
trägen ihre Zustimmung nur unter der ausdrücklichen Bedingung zu er- 
teilen, daß das dem Staate Bayern in dem bisherigen Zollvereinsvertrage 
zustehende Recht der Zustimmung oder Verwerfung in allen das Zollwesen 
und die innere Besteuerung betreffenden Fragen auch in den neuen Ver- 
trägen Ausdruck finde."“ 
Fürst Hohenlohe erklärte, daß er als Reichsrat keinen Anstand nehme, 
für dieses Amendement zu stimmen, daß er als Vertreter der Regierung 
sich nicht in der Lage sehe, sich über den Erfolg dieses Amendements aus-
	        
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