308 Das bayrische Ministerium (1867 bis 1870)
wie vor beschlossen, wenn die einfache Tagesordnung nicht angenommen
werde, und die beiden württembergischen Minister waren entschlossen,
ebenfalls den Saal zu verlassen. Ich ging mit der Absicht, für die
motivierte Tagesordnung zu stimmen, in die Sitzung. 1)
Bennigsen sprach zuerst als Referent für die Adresse. Er war
durchaus ruhig und gemäßigt, und seine Rede machte guten Eindruck.
Thüngen sprach darauf in versöhnlicher Absicht, aber nicht besonders gut.
Der Ausdruck, daß die Freundschaft zwischen Süd= und Norddeutschland
„eine zarte Pflanze“ sei, war offenbar unglücklich gewählt, denn er er-
regte große Heiterkeit in der Versammlung. Nach ihm sprach Blanken-
burg für einfache Tagesordnung und Bluntschli für die Adresse. Blanken-
burg hatte einfache Tagesordnung beantragt, aber mit Motiven versehen,
die sehr annehmbar waren. Seine Rede war geistreich, aber etwas zu
sehr auf die Heiterkeit des Hauses berechnet. Bluntschli sprach lang,
weitläufig, ermüdete die Versammlung und schadete dadurch seiner Sache.
Ich fand nun, daß nur die Nationalliberalen und die dem Eintritt in
den Norddeutschen Bund huldigenden Süddeutschen gegen, und daß alle
andern Fraktionen für die einfache Tagesordnung seien mit Ausnahme
jener Mitglieder, welche wie Ujest und Roggenbach die motivierte Tages-
ordnung unterzeichnet hatten. So wäre ich als bayrischer Minister in
die schiefe Stellung geraten, nicht allein gegen die Konservativen und
Ultramontanen, sondern auch gegen föderalistische Fraktionen zu stimmen.
Damit hätte ich trotz des gemäßigten Wortlauts der motivierten Tages-
ordnung mich auf den Standpunkt der Partei gestellt, die in ihren
letzten Zielen die Aufhebung der Selbständigkeit der Einzelstaaten anstrebt.
Eine solche Stellung wäre mehr als schief gewesen und hätte die bayrische
Regierung als solche kompromittiert. Nachdem alle Redner gegen die
Adresse die Festhaltung an den Verträgen, Thüngen selbst — zum Entsetzen
seiner Partei — die Fortentwicklung auf dem Wege des Vertrags hervor-
gehoben hatten, entschloß ich mich, der einfachen Tagesordnung beizustimmen
und besprach dies auch mit Edel und einigen andern Bayern, die meinen
Entschluß vollkommen billigten. Selbst Stauffenberg, der gegen die ein-
1) Die motivierte Tagesordnung des Freiherrn von Roggenbach lautete: „In
Erwägung, daß die Neugestaltung des Zollvereins auf Grund des Zollvertrags
durch Berufung von Vertretern des deutschen Volks zu einer gemeinsamen Gesetz-
gebungstätigkeit das Unterpfand einer stetigen Fortentwicklung der nationalen
Institutionen gewährt und den berechtigten nationalen Ansprüchen auf wirksame
Einigung der Staatskräfte eine befriedigende Erfüllung sichert, in Erwägung, daß
ein einmütiges Zusammenwirken für die Aufgaben des Zollparlaments dieses Ziel
am meisten zu fördern geeignet ist, wird über den Adreßantrag die Tagesordnung
beantragt.“