344 Das bayrische Ministerium (I867 bis 1870)
beweist, daß man in Wien an eine Verständigung mit Preußen auf unsre
Kosten denkt.
München, 31. Dezember 1868.
Der österreichische Gesandte Graf Ingelheim ) führte heute bei dem
diplomatischen Donnerstagsbesuch das Gespräch auf die Rede des Ministers
von Varnbüler?) und bemerkte, daß damit jede Hoffnung auf den Süd-
bund abgeschnitten sei. Ich erwiderte, daß ich dies ohne jedes Erstaunen
gelesen habe, weil mir die Ansichten Varnbülers bekannt seien und ich
ebenso die Tendenzen des württembergischen Volks kenne, welche dahin
gingen, vor allem seine Autonomie zu erhalten. Ohne Aufgabe eines
Teils dieser Selbständigkeit aber sei auch der Südbund nicht denkbar,
weshalb derselbe in Württemberg wenig Aussicht habe, es sei denn, man
gehe auf den Plan ein, eine süddeutsche Föderation von Republiken zu
bilden, was jedenfalls weder im Interesse noch im Plane der süddeutschen
Regierungen liege.3) Ingelheim riet nun zu einer Verabredung der süd-
deutschen Staaten dahin gehend, sich gegenseitig zu verpflichten, keinen
Schritt weiter zur Annäherung an Preußen zu machen. Nur dadurch
könne die Gefahr einer Absorbierung durch Preußen abgewendet werden.
Ich wandte dagegen ein, daß eine solche Verabredung nur einen negativen
Zweck habe und wohlüberlegt sein wolle. Der Prager Frieden stipuliere
die nationale Verbindung der süddeutschen Staaten mit dem Nordbunde
1) Nachfolger des am 14. November von dem Könige in Abschiedsaudienz emp-
fangenen Grafen Trauttmansdorff. Am 12. Dezember hatte Fürst Hohenlohe sein
Beglaubigungsschreiben entgegengenommen.
2) Bei der Adreßdebatte der Zweiten Kammer am 18. und 19. Dezember hatte
Varnbüler gesagt: die Vereinigung der süddeutschen Staaten, die man von der
Regierung verlangt, ist nichts andres als der Südbund .. . Also nicht bloß eine
Verständigung mit den Nachbarstaaten, sondern ein staatliches Gebilde. Ich frage
nun: ist ein solches möglich . . Sie werden mir zugeben, daß eine staatliche
Organisation etwas zu tun, eine Kompetenz haben muß. Wie wollen Sie nun diese
für Ihre Zentralgewalt, für Ihr Parlament bestimmen? Doch nicht geringer als
die Kompetenz des norddeutschen Bundesrats? Dann müßten die süddeutschen
Staaten an das Bundesorgan abtreten alle diejenigen Gegenstände, welche in den
15 Ziffern des Artikels IV der norddeutschen Bundesverfassung aufgeführt sind.
Dabei haben Sie zu bedenken, daß Württemberg und Baden in den Bundesorganen
gegenüber von Bayern stets in der Minorität wären .. Das ganze württem-
bergische Volk würde gegen ein solches Experiment sich erheben . Wenn Sie alle
die Gegenstände ins Auge fassen, welche dem Bunde zufielen, so würde gewiß bald
der Gedanke Platz greifen, wenn wir einmal solche Dinge haben sollen, so wollen
wir sie lieber mit ganz Deutschland als mit Bayern gemeinschaftlich haben.
3) Die württembergische Volkspartei hatte den Südbund in ihr Programm
aufgenommen. Ihr Vertreter Karl Mayer sagte in der Adreßdebatte vom 18. und
19. Dezember: „Ich glaube, wenn wir den Südbund gründen, machen wir keinen
Hemmschuh für die republikanische Entwicklung Europas."“