358 Das bayrische Ministerium (1867 bis 1870)
Wenn Herr Präsident von Harleß von „revenants“ gesprochen und
dieselben aus dem Gebiete des Rationalismus des vorigen Jahrhunderts
hat erscheinen lassen, so kann ich es Ihrer Erwägung anheimgeben,
ob die Aeußerungen, die ich Ihnen eben vorgeführt habe, nicht auch
zur Kategorie der revenants und zwar aus einer längst verflossenen
Zeit zu zählen wären, und ob nicht dann ein revenant den andern
hervorruft.
Ich bin übrigens weit entfernt, diese Kundgebungen einer Kritik
unterstellen zu wollen, ich will dieselben nur anführen, um zu zeigen, daß
hier die Tatsache eines Widerspruchs zwischen jenen Aeußerungen und
dem modernen Liberalismus nicht nur, sondern auch mit dem positiven
bayrischen Verfassungsrechte besteht. Ich erinnere Sie, um das zu be-
weisen, daran, daß die Verfassung die Gewissensfreiheit als eines der
Grundrechte des bayrischen Volks verkündet und garantiert.
Die Verfassung ist eine liberale, sie ist das Produkt des modernen
Liberalismus, sie erkennt ausdrücklich an, daß das „Fortschreiten zum
Bessern“ — es sind dies die Worte der Verfassung selbst — „nach ge-
prüften Erfahrungen nicht ausgeschlossen sei“.
Dieser Widerspruch, diese prinzipielle Verschiedenheit der Auffassung
stört jenes harmonische Zusammenwirken von Staat und Kirche, auf welches
ich mir vorhin als das Ideal hinzuweisen erlaubte. Unter solchen Umständen,
bei so entschiedenen Gegensätzen mußte für die Staatsregierung, wenn sie
ein Schulgesetz vorlegen wollte, nichts andres übrigbleiben, als ein Akko-
modement oder, wie man es auch zu nennen pflegt, einen Modus vivendi
vorzuschlagen.
Dieser Vorschlag hat allerdings die Nachteile jedes Mittelwegs, allein
nach dem Obengesagten war ein prinzipieller Ausgleich nicht denkbar. Ich
bin also der Ansicht, daß wir uns damit begnügen sollten, den Gesetz-
entwurf im wesentlichen nach den Vorschlägen der Staatsregierung an-
zunehmen, er bietet manche Verbesserungen, die den Gemeinden und den
Lehrern zugute kommen, und er wird auch meiner Ueberzeugung nach die
Kirche nicht schädigen.
Meine hohen Herren! Es wird zu allen Zeiten Menschen geben —
ja, es ist die große Mehrzahl —, die in dem Kampf und Sturm des Lebens
Schiffbruch zu leiden fürchten oder Schiffbruch gelitten haben, und die
sich in den sichern Hafen der Kirche flüchten, um bei ihr Trost, Hilfe
und Versöhnung zu finden. Die Menschheit bedarf dieser helfenden,
tröstenden und versöhnenden Kirche zu allen Zeiten, und die 56 Schul-
inspektoren werden sie nicht erschüttern. Ob die Menschheit auch einer
streitenden und verdammenden Kirche bedarf, das mögen die Theologen
entscheiden.