360 Das bayrische Ministerium (1867 bis 1870)
2. Der Papst bestimmt aus eigner souveräner Autorität die Grenzen
zwischen Kirche und Staat. In Gegenständen gemischter Art entscheidet
einzig das unfehlbar gewordene Urteil des Papstes, von welchem dann
kein Nachfolger mehr abweichen darf.
3. Die Bulle Pauls IV., die jeden andersgläubigen Fürsten abzu-
setzen u. s. w. gebietet, wird Dogma (man nennt sie die Bulle „Cum er
apostolatus officio").
4. Desgleichen die Bulle „Unam Sanctam“.
5. Da die Päpste die gegenwärtig allenthalben beseitigten Immuni-
täten des Klerus für eine auf göttlicher Anordnung beruhende Sache (Juris
divini) erklärt haben, so würde dies Glaubenssatz werden.
6. Infolge davon würde zum Beispiel jeder Bischof, ja jeder Geistliche
überhaupt der weltlichen Gerichtsbarkeit ganz entzogen sein, oder dies doch
nur wie im österreichischen Konkordat als ein einstweiliger Notstand vom
Papste auf gewisse Zeit geduldet werden, würde Klerus und Kirchengut
nur mit Erlaubnis des Papstes besteuert werden können u. s. w.
7. Es würde für die Katholiken Gewissenspflicht werden, immer einem
katholischen Beherrscher vor dem wenn auch angestammten, aber einem
andern Religionsbekenntnis angehörigen Landesfürsten den Vorzug zu
geben. Diese Konsequenz könnte auch in unsern Tagen bald sehr praktisch
werden.
Damit sind jedoch die teils möglichen, teils sicheren Folgen noch nicht
erschöpft.
Entscheidend für den Mißerfolg der durch die Zirkulardepesche vom
9. April eröffneten Politik war die Haltung der österreichischen Regierung.
Es ist daher geboten, an dieser Stelle die bereits mehrfach veröffentlichte
Antwort des österreichischen Reichskanzlers einzufügen.
Graf Beust an den österreichischen Gesandten Grafen
Ingelheim in München.
Wien, 15. Mai 1869.1)
Der Königlich bayrische Gesandte Herr Graf von Bray hat mir von
einer Depesche Kenntnis gegeben, welche seine hohe Regierung an ihn
gerichtet hat, um die Frage bei uns in Anregung zu bringen, welche
Haltung die europäischen Regierungen gegenüber dem nach Rom ein-
berufenen ökumenischen Konzil anzunehmen haben werden. Graf Bray hat
diese Depesche mir in Händen gelassen, und ich übersende Eurer Exzellenz
im Anschlusse eine Abschrift derselben zu persönlicher Kenntnisnahme.
1) Die Depesche ist auch abgedruckt und verteidigt in den Erinnerungen des
Grafen Beust, Aus drei Vierteljahrhunderten, II. S. 278.