Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Erster Band. (1)

Das bayrische Ministerium (1867 bis 1870) 361 
Unter Berufung auf die ihr zugekommenen Nachrichten über die Vor- 
bereitungen zu der bevorstehenden Kirchenversammlung und über vermutete 
Absichten des römischen Hofes richtet die Königlich bayrische Regierung an 
uns — wie ohne Zweifel auch an andre Kabinette — die Anfrage, ob nicht 
zum Schutze der modernen Staatsprinzipien vorbeugende Maßregeln, wie zum 
Beispiel Abmahnungen an die Bischöfe der einzelnen Länder oder Protestation 
in Rom ins Auge zu fassen seien, und ob es nicht für angezeigt gehalten 
werde, ein Einverständnis über derartige, wenn nicht kollektive, doch möglichst 
identische Schritte durch gemeinsame Beratungen, vielleicht selbst durch eine 
Konferenz von Vertretern sämtlicher beteiligten Regierungen, herbeizuführen. 
Ich habe diese Mitteilung, wie die hohe Wichtigkeit ihres Gegenstandes 
es erheischt, der aufmerksamsten Erwägung unterzogen, und mich zugleich 
für verpflichtet gehalten, vor Beantwortung der von dem Herrn Fürsten 
von Hohenlohe angeregten weittragenden Fragen mich vertraulich sowohl 
mit dem Kaiserlich Königlich österreichischen wie mit dem Königlich ungarischen 
Ministerium zu beraten. 
Im vollen Einverständnisse mit den Ministerien beider Reichshälften 
und mit allerhöchster Ermächtigung Seiner Majestät des Kaisers und 
Königs habe ich nunmehr die Ehre, durch Eurer Erxzellenz gefällige Ver- 
mittlung dem Münchner Kabinette in Erwiderung auf seine Anfrage die 
nachstehenden Bemerkungen mitzuteilen. 
Eine Regierung, welche wie die österreichisch-ungarische die Freiheit 
der verschiedenen Religionsbekenntnisse innerhalb der freiheitlich konstituierten 
bürgerlichen Gesellschaft zum leitenden Grundsatze erhoben hat, würde nach 
unfrer Auffassung die volle Konsequenz ihres Prinzips nicht festhalten, 
wenn sie einem in der Verfassung der katholischen Kirche begründeten 
Vorgange, wie es die Einberufung eines allgemeinen Konzils ist, ein System 
präventiver, einschränkender Maßnahmen gegenüberstellen wollte. Es wird, 
was diesen prinzipiellen Ausgangspunkt für unfre Betrachtung betrifft, 
zugleich darauf hingewiesen werden dürfen, daß, soviel bis jetzt bekannt, 
keine derjenigen Mächte, von denen der Grundsatz der Unabhängigkeit der 
Kirche am vollständigsten anerkannt und in deren Bereich er am tiefsten 
in das öffentliche Bewußtsein eingedrungen ist, Besorgnisse über mögliche 
Beschlüsse des künftigen Konzils an den Tag gelegt oder sich bereits mit 
dem Gedanken an abwehrende Gegenmaßregeln beschäftigt hat. 
Steht es nun aber als allgemeine Regel fest, daß den anerkannten 
Religionsgesellschaften in ihren inneren Lebensäußerungen, solange diese 
nicht mit dem staatlichen Standpunkte kollidieren, die vollste Freiheit gelassen 
werden müsse, so hat die Kaiserliche und Königliche Regierung in der Sach- 
lage, wie sie sich bis heute darstellt, keine genügenden Motive des Rechts 
oder der Opportunität zu erblicken vermocht, um schon jetzt dem an sich
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.