362 Das bayrische Ministerium (1867 bis 1870)
so beachtungswerten Vorschlage der Königlich bayrischen Regierung Folge
zu geben.
Ueber den Verlauf des Konzils können nämlich dermalen nur Ver-
mutungen, mehr oder weniger wahrscheinliche, aufgestellt werden. Nicht
einmal über das Programm der Beratungsgegenstände des Konzils sind
andre offizielle Aufschlüsse als die übersichtlichen Andeutungen der päpstlichen
Einberufungsbulle vorhanden. Das Gebiet der wirklich rein dogmatischen
Fragen wird ohnehin niemand dem allgemeinen Kirchenrate streitig machen
wollen. Was aber staatskirchliche Angelegenheiten sowie diejenigen Ma-
terien betrifft, welche mit der Konfession zugleich das bürgerliche Recht
berühren, so läßt sich heute schwerlich schon ein Urteil darüber gewinnen,
ob die Gefahr vorhanden sei, daß die in diesem Bereiche seither hervor-
getretenen Gegensätze durch Verhandlungen und Beschlüsse des Konzils
noch geschärft und zu größerer Gefährlichkeit für die Ruhe der Staaten
gesteigert werden könnten. Wir können das Vorhandensein einer solchen
Gefahr weder bestätigen noch in Abrede stellen. Doch dürfte im all-
gemeinen kaum vorauszusetzen sein, daß die Bischöfe der katholischen Welt,
die der großen Mehrzahl nach in Ländern mit vollkommen säkularisierter
Gesetzgebung leben und wirken müssen, nicht eine genaue Kenntnis der
praktischen Notwendigkeit unsers Zeitalters nach Rom mitbringen sollten.
Und wenn die Erwartung berechtigt ist, daß es dem Zwecke der Erhaltung
des Friedens zwischen Staat und Kirche an Wortführern unter den Prälaten
des Konzils nicht fehlen werde, so liegt es vielleicht nicht im Interesse der
Regierungen, diese Stimmen als von Staats wegen patronisiert erscheinen
zu lassen und dadurch in ihrer Autorität zu beeinträchtigen. Es läßt sich
ferner dermalen noch nicht erkennen, wie die päpstliche Kurie, welche in
der jetzigen Weltlage die Präzedenzien früherer Jahrhunderte in bezug auf
die Teilnahme der weltlichen Fürsten an den Konzilien nicht wird erneuern
können noch wollen, gegenüber den Regierungen hinsichtlich derjenigen
Verhandlungsgegenstände sich zu verhalten gedenkt, in welchen die Beschlüsse
des Konzils nicht ohne staatliche Anerkennung zur Ausführung gelangen
könnten. Nach unfrer Auffassung sind aber die Regierungen vollkommen
in der Lage, die in dieser Richtung etwa erforderlich werdenden Schritte
des Kirchenregiments abzuwarten. Würde demnächst das versammelte Konzil
sich wirklich anschicken, in die Rechtssphäre der Staatsgewalt überzugreifen,
oder würden sich bestimmte Indizien für eine derartige Absicht in authentischer
Weise herausstellen, dann wäre auch nach der Ansicht der Kaiserlichen und
Königlichen Regierung der Fall sicher nicht auszuschließen, daß neben den
abwehrenden und abmahnenden Schritten der einzelnen Staaten auch
gemeinsame Beratungen der Kabinette zum Zwecke übereinstimmender
Wahrung der Staatshoheitsrechte sich als nötig oder nützlich erweisen