366 Das bayrische Ministerium (1867 bis 1870)
ziplinären Verordnungen (3. B. über geistliche Immunitäten oder die Strafen
eines Duells und ähnliches) wurden von einigen Staaten (z. B. Frankreich)
zurückgewiesen. Nun sollen aber gerade auf diesem Konzil neue Glaubens=
lehren, und zwar solche, welche in kirchenpolitischer Hinsicht höchst bedenklich
werden würden, aufgestellt werden. Wenn dies wirklich geschieht, so wäre
es völlig vergeblich, daß die Regierungen etwa hintennach kämen mit der
Erklärung: „wir nehmen sie nicht an,“ man würde ihnen lachend er-
widern, eure Völker, von ihren Priestern belehrt, glauben sie bereits, ohne
euch darum zu fragen. Wird zum Beispiel die Unfehlbarkeit des Papstes
zum Dogma erhoben, so ist eo ipso die berühmte Bulle „Unam Sanctam“
Regula fidei, unverbrüchliche Glaubensvorschrift für die ganze katholische
Welt, und damit ist die vollständige Oberherrschaft des Papstes über alle
Monarchen und Regierungen auch in weltlichen Dingen und in der Politik
mit einem Male zum göttlich geoffenbarten Dogma gestempelt, welches nun
konsequenterweise auch in den Katechismen, im Beichtstuhl und auf allen
Kanzeln und Kathedern gelehrt werden muß. Die römischen Jesuiten in der
„Civiltàa“ haben vor wenigen Tagen (in ihrem Heft vom 3. April S. 21)
diese Konsequenzen bereits vollkommen und mit aller Offenheit akzeptiert.
Man steuert also in Rom mit klarem Bewußtsein auf dieses Ziel los.
Nach der Ansicht des Herrn von Beust wäre zu besorgen, daß ein
zeitiges Hervortreten der Regierungen eher ermutigend auf die ultramontane
Partei wirken und sie in Rom zu entschlossenem Fortschreiten auf der
betretenen Bahn bestimmen möchte.
Es ist aber dagegen zu erinnern, daß die römische Kurie selber schon
seit Jahrhunderten sich vorzugsweise durch das Motiv der Furcht hat
leiten lassen und daß sie alsbald zurückzuweichen oder einzuhalten pflegt, wo
sie auf energischen Widerstand stößt, ganz besonders dann, wenn dieser
Widerstand ein kombinierter mehrerer Mächte wäre. Wozu noch kommt,
daß nach übereinstimmenden Berichten in Rom auch eine gemäßigte, oder
antijesuitische Partei besteht, zu welcher selbst einige Kardinäle gehören.
Diese Partei würde sich durch eventuelle Erklärungen oder Schritte der
Regierungen ermutigt und gestärkt fühlen und sich in den Stand gesetzt
sehen, dem bis jetzt allerdings überwiegenden Einflusse der Gegenpartei,
welche die neuen Dogmen anstrebt, sich mit Erfolg zu widersetzen.
Zirkular an die königlichen Gesandtschaften
vom 29. Mai 1869.1)
Nachdem nunmehr auch die Erklärungen der bei den letzten Neuwahlen
mehrfach Gewählten abgegeben sind und sonach die Zusammensetzung der
1) Veröffentlicht im Oktober 1869 durch die „Donauzeitung“ A. A.-Z. 17. 10.
1869 Nr. 290.