430 Das bayrische Ministerium (1867 bis 1870)
Auf die Begründung des Mißtrauensvotums durch den Referenten
Jörg erwiderte der Fürst am 5. Februar:
.. Der Herr Referent hat am Anfang der Adreßdebatte gesagt:
Europa blicke auf diesen Saal. Es ist richtig, meine Herren, die Ent—
scheidung, welche Sie hier treffen werden, wird von weittragender Bedeutung
sein, nicht deshalb, weil die Ereignisse unsers Königreichs für die Welt
von so großer Wichtigkeit wären, sondern deshalb, weil der Kampf, der
hier seit einer Woche entbrannt ist, nur einen Teil des großen Kampfs
bildet, der zurzeit die Welt bewegt. Es ist der Streit der beiden An-
schauungen, deren eine im modernen Rechtsstaate und in der ganzen frei-
heitlichen Entwicklung der Gegenwart etwas zu Erhaltendes und zu Pflegendes
erblickt und deren andre diesen modernen Staat und die ganze moderne
Entwicklung perhorresziert und das Heil der Menschheit in einer Neu-
gestaltung des Staats auf andern Grundlagen sucht, in einer Neugestaltung,
welche durch die Kirche, und zwar durch eine im absolutistischen Sinne
rekonstruierte Kirche, vervollständigt und getragen würde. In diesem Kampf
eine Aenderung der Ueberzeugungen durch Worte herbeiführen zu wollen,
wäre die vergeblichste aller Bemühungen. Meine Auffassung wird auch
nicht beirrt durch die Versicherungen jener, welche sich frei wissen von Ab-
sichten, wie ich sie eben bezeichnete, auch nicht durch die glänzende Rede
eines sehr geehrten Mitglieds, welches die Versöhnung des Liberalismus
mit der Kirche zur Aufgabe seines Lebens macht, welches aber wohl dem-
selben Schicksal entgegengehen wird, welches alle diejenigen getroffen hat,
welche dieselben Bestrebungen hatten. Denn, meine Herren, ich kann mich
des Gedankens nicht entschlagen, daß ein Teil der Gegner nur deshalb
mit den Feinden des modernen Staats gemeinsame Sache macht, weil es
diesen gelungen ist, für ihre Tendenzen jene erregte Stimmung zu benutzen,
in welche die Gemüter durch die Ereignisse des Jahres 1866 gebracht
worden sind. Diese Erregtheit beruht aber einesteils auf der Furcht, welche
der gegenwärtige Zustand Deutschlands einflößt, nachdem das Band zerrissen
ist, welches die deutschen Stämme bis zum Jahre 1866 zusammengehalten
hat. Sie beruht ferner auf der Furcht vor den Bestrebungen derjenigen,
welche den nationalen Gedanken zum endlichen Ausdruck zu führen suchen,
ohne den gegebenen Tatsachen und den Gefühlen des Volks allseitig Rechnung
zu tragen.
Ich habe mich seit drei Jahren redlich bemüht, Bayern aus diesem
Zustande der Unsicherheit herauszuführen, ich habe mich bemüht, schon
jetzt und gerade vor jener Zeit, wo eine Kündigung des Zollvereins statt-
finden kann, zu vertragsmäßig geordneten Zuständen zurückzugelangen.
Freilich haben einzelne Redner gemeint, daß überhaupt eine vertragsmäßige
Verbindung der süddeutschen Staaten mit dem Norden vom Uebel sei.