60 Die Revolution und die Reichsgesandtschaft (1848 bis 1850)
zahl des bayrischen Volks. Meine entgegenstehenden persönlichen Ansichten,
die ich jedoch in wenigen Worten vortragen zu müssen glaubte, müssen
deshalb zurücktreten, sie berechtigen mich nicht, der Regierung deshalb zu
zürnen, weil sie das getan hat, was die Mehrzahl des Volks will. In
einer Frage, wo es sich um die Rechte eines ganzen Volks, um die Selb-
ständigkeit eines Staates handelt, muß die persönliche subjektive Ueber-
zeugung des einzelnen zurücktreten. Ich weiß auch gar keinen andern
Weg anzugeben, welchen die Regierung hätte einschlagen sollen, um die
Wünsche des Volks mit dem Prinzip der Einigung des ganzen Deutsch-
lands in Einklang zu bringen. Es ist schwer, ja fast unmöglich, den
Wunsch nach nationaler Einigung zu erfüllen und zu der gleichen Zeit
die ganze Selbständigkeit eines einzelnen Staates aufrechtzuerhalten. Wenn
die Einheit im Jahre 1848 zugrunde gegangen ist, so ist es nicht sowohl
durch die Sonderinteressen der Dynastien als durch die Feindseligkeiten der
einzelnen deutschen Stämme geschehen. Das ist eine traurige Wahrheit;
es ist aber notwendig, daß man sich die Wahrheit so oft als möglich
gestehe. Unter solchen Verhältnissen, muß ich bekennen, konnte die Staats-
regierung nicht anders handeln, als sie gehandelt hat.“
An die Prinzessin Amalie.
München, 22. Dezember 1849.
.. Gegenwärtig lesen wir immer von Zeit zu Zeit in Humboldts
Briefen an eine Freundin. Darin finde ich meine eignen Gedanken auf
jeder Seite. Doch kam ich in der letzten Zeit sehr wenig zum Vorlesen.
Meine Tage waren vollkommen absorbiert durch die reichsrätliche Tätigkeit.
Ich habe mir vor einigen Tagen durch eine recht gute improvisierte Rede
einen großen Ruf erworben. Dieses 6vénement war an jenem Tage der
Gegenstand aller Gespräche. Da der Gegenstand nicht allgemeine Be-
deutung hatte, so wirst Du die Sache nicht in der „Augsburger Zeitung“
finden. Ich selbst bin gegen diese Erfolge gleichgültig. Ich freue mich,
daß ich so etwas zustande bringe, weil es sehr unangenehm ist, wenn in
ernsten Zeiten die Form uns am Handeln hindert. Doch macht mir der-
gleichen keine Freude.
1Z
Die Verhandlungen der Kammer, auf die sich diese Mitteilungen be-
ziehen, betrafen die strafrechtliche Verfolgung der Pfälzer Revolutionäre.
In der Sitzung vom 18. Dezember hatte Graf Arco-Valley im Gegensatz
gegen die „jungen Reichsräte" sich selbst als einen „Hemmschuh auf dem
Wege zur Republik“ bezeichnet. Die Erwiderung auf diesen Angriff war
wohl die „improvisierte Rede“, von der der Fürst berichtet. Ueber die
Frage der Amnestie sagt der Fürst in einer Aufzeichnung aus diesen Tagen: