Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Erster Band. (1)

66 Aus den Jahren 1850 bis 1866 
Ich wurde ihm vorgestellt, und dann sprach er mit mir über Bayern: 
„J'y ai passé ma jeunesse, à Augsbourg, et j'en conserve toujours 
un très bon souvenir.“1) Er erzählte von einem Prinzen Hohenlohe, den 
er in München gekannt hatte. Dann wurde ich der Prinzeß Mathilde 
vorgestellt, einer dicken, schhnen Dame mit Diamanten. Bald darauf 
setzte sich die ganze Gesellschaft in Bewegung und defilierte in die Tanz- 
säle, wo das Publikum Spalier bildete, um uns wie einen großen Hof- 
staat durchgehen zu sehen. Im Saal wurde ich Lord und Lady Normanby 
vorgestellt. Lord Normanby ist ein großer krausköpfiger, immer lächelnder 
Engländer mit vielen Orden, Lady Normanby ein dickes, impassibles 
Wesen mit Diamanten. Graf Hatzfeld, der preußische Gesandte, den ich 
auch kennen lernte, ein rheinischer Rittergutsbesitzer dans toute la force 
du terme. Seine Frau eine geistreiche Französin. Der österreichische 
Gesandte Hübner ist eine Môlange zwischen Liszt und Karl von Koschentin,) 
geschickt und gewandt wie alle österreichischen Diplomaten. Die Russen 
sind zahlreich und für uns sehr liebenswürdig, im übrigen abgeschliffen 
und leer. 
Gestern abend waren wir bei der Herzogin von Maillé, einer freund- 
lichen Dame mit grauem Schnurrbart. Die Annehnmlichkeit, in einen 
Salon von wenig Menschen zu kommen, von denen man niemand kennt, 
wurde uns da zuteil. Man bleibt jedoch nur eine halbe Stunde in 
diesen Avant-soirkes. Nachher gingen wir zur Fürstin Lieven. Dort 
war es mir interessant, alle möglichen merkwürdigen Leute zu sehen und kennen 
zu lernen. Guizot ist eine gleich im ersten Augenblick auffallende Er- 
scheinung. Er ist der einzige Mensch, den ich in der Pariser Welt bis- 
her getroffen habe, der nicht an andre Dinge denkt oder zu denken scheint, 
wenn er mit einem spricht. Es ist dies sehr schwer und es gehört viel 
geistige Kraft dazu, in diesem heillosen Geschrei eines Pariser Salons 
und umgeben von den verschiedenartigsten Personen nicht verwirrt zu sein 
und zu scheinen. Molés) ist ein ernster Mann, aber auch zerstreut, 
Berryer,) der ebenfalls da war, den ich aber nicht kennen lernte, sieht 
aus wie ein Landpfarrer. Unter den Damen, die ich bisher gesehen, 
zeichnet sich Madame Kalergi durch Schönheit, Fürstin Grassalkowitsch 
durch rüstiges Alter, Madame Gudin durch Fett und naive Bemerkungen 
  
1) Napoleon hatte von 1816 ab mit seiner Mutter Hortense mehrere Jahre in 
Augsburg gelebt und das dortige Gymnasium zu St. Anna besucht. 
2) Prinz Karl zu Hohenlohe-Ingelfingen (1820 bis 1890) auf Koschentin. 
3) Graf Louis Mathieu Molé, konservativer Staatsmann, Minister unter 
Louis Philippe. 
*) Der berühmte Redner, Verteidiger Neys und Napoleons nach dem Unter- 
nehmen von Boulogne.
	        
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