76 Aus den Jahren 1850 bis 1866
zwei Jesuiten, welche miteinander disputierten. Der eine stellte den Un-
wissenden, der andre den Gelehrten vor und nun stritten sie sich über
Gegenstände der Moral. Für heute hatten sie die üble Gewohnheit des
Fluchens zum Gegenstand ihrer Disputation gemacht. Während der „dotto“
die Sünde der „imprecazioni“ auseinandersetzte, fand der „ignorante“
doch nichts so Schreckliches darin. Letzterer, der seine Rolle etwas gar
zu natürlich spielte, erheiterte das Publikum über alle Maßen. Es mag
sein, daß diese Art des Vortrags dem Volk hierzulande Eindruck macht.
16. März.
Diner. König Max war verhindert, kam erst nach dem Diner, als
die Gäste fort waren.
Nachdem er fort war, zog ich schnell meine Uniform an, um mit
Marie zu den zwei ricevimenti zu fahren. Kardinal Geißel von Köln
und Kardinal Haulik von Agram, die gekommen sind, um ihren Hut in
Empfang zu nehmen, hielten heut ihren Empfang oder ricevimento. Geißel
empfing in den Appartements des Kardinals Reisach im Palazzo St. Croce,
Haulik im Palazzo di Venezia. Das glänzendere ricevimento war das
des Agramer Kardinals. Der Palast war erleuchtet. Vor demselben
spielten abwechselnd zwei Musikbanden Walzer u. dergl. Auf der Treppe
wogte eine Menge Fremder und Einheimischer in Uniform. Die Salons
waren voll. Gräfin Colloredo machte die Honneurs für den österreichischen
Kardinal. Alle römischen Damen schmücken sich bei einer solchen Gelegen-
heit mit ihren schönsten Diamanten. Nachdem wir nach langem Warten
unsern Wagen wiedererlangt hatten, fuhren wir noch zu Salviati, wo sich
die bekannte Gesellschaft zusammenfand.
Sonntag, 22. März.
... Um ½4 Uhr ging ich in die Stadt, und da ich glaubte, daß in
San Agostino Predigt sei, so wandte ich mich dahin. Beim Eintreten
überraschte mich das Summen vieler Stimmen. Als ich näherkam, er-
klärte sich dieses Sprechen. In der ganzen Kirche saßen Gruppen, hier
Knaben, vor denen ein Geistlicher saß und examinierte, hier kleine Mädchen,
vor denen wohlgekleidete Mädchen aus dem höheren Bürgerstand saßen,
die sich ebenfalls mit den Kindern unterhielten und sie belehrten, dort er-
wachsene Mädchen mit einem alten Geistlichen. Alles war eifrig bemüht,
die Aufmerksamkeit der Schüler war überall ungeteilt, der Eifer der Lehren-
den und ihr Geschick und guter Wille sehr erbaulich. Aeltere Leute saßen
dabei und hörten zu. Dieser Unterricht, der am Sonntag in vielen Kirchen
gegeben wird, ist ein erfreuliches Zeichen des religiösen Lebens im Volke,
das man nicht nach einigen Szenen in der Peterskirche beurteilen darf,
und das mehr gepflegt wird als in vielen andern Ländern.