4 Im Reichstage (1870 bis 1874)
Dessenungeachtet blieb die Regierung nicht untätig. Die an die
theologischen und juristischen Fakultäten der Universitäten München und
Würzburg gerichteten Fragen liefern dafür den Beweis. Die Antworten
liefern wertvolles Material für die weiteren Kämpfe, welche aus den Be-
schlüssen des Konzils hervorgehen werden, und sie haben wesentlich dazu
beigetragen, die wissenschaftliche Behandlung der dem Konzil vorgelegten
Fragen in Fluß zu bringen. Und hätten jene Fragen auch keinen andern
Erfolg gehabt als den, den ehrwürdigen, in seinem katholischen Glauben
felsenfesten Veteranen der Münchner Universität zu jener Aeußerung zu
veranlassen, welche eine entschiedene Verurteilung der durch die Majorität
der Konzilväter vertretenen Meinungen enthält, so wäre dies genug. Wenn
solche Worte wie das Votum des Dr. von Bayer unbeachtet verhallen
konnten, wenn die Ratschläge und Warnungen der treuesten Anhänger
der katholischen Kirche als Arroganz und Auflehnung wider die Kirche
verurteilt werden, so beweist dies und alles, was in Rom vorgeht, daß
kein vereinzelter Schritt einer Regierung irgendeinen Erfolg gehabt haben
würde und nur die gemeinsame Aktion aller europäischen Regierungen
mächtig genug gewesen wäre, das drohende Unheil von Kirche und Staat
abzuwenden.
Journal.
Berlin, 23. April 1870.
Nachdem ich vorgestern 1) hier angekommen, meldete ich mich gestern
beim König und der Königin und wurde Abends zum Tee eingeladen. Ich
fand nur Roggenbach, so daß wir zu vier, der König, die Königin, Roggen-
bach und ich, in der sogenannten Bonbonniere am Teetisch saßen. Die
Mojestäten erkundigten sich nach verschiedenen Familienangelegenheiten, und
dann ging das Gespräch auf das Konzil über. Die Königin fragte ver-
schiedenes, u. a., warum Leute wie Dupanloup, Gratry und Montalembert
so wenig von der öffentlichen Meinung in Frankreich unterstützt würden.
Ich antwortete, daß dies daher komme, daß es in Frankreich nur Ultra-
montane und Ahheisten gebe, der eigentlich wohldenkende, ruhige Katholik
gemäßigter Gesinnung schwach vertreten sei. Der König schien genau
über die Vorgänge in Rom informiert, und ich erkannte in seinen Aeuße-
rungen mir bekannte Depeschen Arnims. Die Konzilbriefe 2) scheint die
Königin mit Aufmerksamkeit gelesen zu haben. Der Gedanke einer Be-
sprechung deutscher katholischer Theologen hatte ihren ganzen Beifall, und
sie forderte mich auf, darauf hinzuwirken, daß dies bald geschehe.
1) Das Zollparlament war am 21. April eröffnet worden. Die Hauptvorlage
war der revidierte Vereinsgolltarif.
2) Die in der Augsburger Allgemeinen Zeitung erscheinenden „Briefe vom
Konzil“.