102 Poststrafrecht.
Stellung brach sich das Administrativverfahren auch in der die Postgefälle betreffen-
den Materie wiederum Bahn und ging in Preußen in das Gesetz vom 5. Juni
1852 über. Als nun nach der Errichtung des Norddeutschen Bundes und der Her—
stellung des Deutschen Reichs das Postregal auf das Reich übertragen wurde, baute
die Reichsgesetzgebung, die auch schon bei anderen Abgaben und Gefällen die Ad-
ministrativjustiz aufrecht erhalten hatte, auf der gegebenen Grundlage und insbesondere
den Preußischen Gesetzen weiter, und wuchs daher auf ihnen auch das Gesetz vom
28. Oktober 1871 „über das Postwesen des Deutschen Reichs“, welches zur Zeit
die alleinige Quelle und Grundlage des Deutschen P. bildet. Wenn auch nach
Art. 79 III. § 4 des Vertrages vom 23. November 1870 in Bayern und nach
Art. 2 Nr. 4 des Vertrages vom 25. November 1870 in Württemberg die freie
und selbständige Verwaltung des Postwesens dem Landesrecht vorbehalten worden
ist, steht doch dem Reiche auch diesen Bundesstaaten gegenüber die Gesetzgebung zu
über die Vorrechte der Post, die rechtlichen Verhältnisse derselben zum Publikum,
die Portofreiheiten und das Taxwesen, soweit diese Gegenstände nicht lediglich den
inneren Verkehr in den beiden Staaten betreffen. Innerhalb dieser Materien liegt
das P., wie es in dem Gesetz vom 28. Oktober 1871 ausgebildet ist, und ist das-
selbe deshalb auch in diesen Staaten, also innerhalb des gesammten Gebietes des
Deutschen Reichs maßgebend.
I. Das materielle Strafrecht findet sich im Abschnitt IV des Gesetzes in den
§§ 27—33. Sie enthalten die Aufzählung der als strafbar bezeichneten Handlungen,
die Strafandrohungen und einzelne den allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen an-
gehörige Bestimmungen.
Die rechtliche Qualität der bedrohten Handlungen deutet das Gesetz durch die
Ueberschrift des Abschnitts an, in welchem sie Post= und Portodefraudationen
genannt werden. Sie sollen also — wie dies auch aus den Motiven des Gesetzes
ersichtlich, in welchen sie nicht als Defraudationen, sondern als Uebertretungen be-
zeichnet waren — gesetzlich als Uebertretungen behandelt und nach den für diese
maßgebenden Grundsätzen beurtheilt werden und zwar selbst dann, wenn etwa im
Einzelfalle die prinzipale Geldstrafe die den Uebertretungen gesetzte Grenze über-
schreiten sollte. Da das P. als ein Spezialgesetz des allgemeinen Strafrechts an-
zusehen, greifen überall da, wo es nicht durch ausdrückliche Bestimmungen von
ihnen abweicht, die allgemeinen Grundsätze desselben über die Uebertretungen Platz.
Demgemäß ist sowol der Versuch, wie die Theilnahme durch Gehülfenschaft straflos,
nicht aber die Anstiftung. Bei realer Konkurrenz ist die Anwendbarkeit des § 74
des Straf GB. ausgeschlossen und findet nach den §§ 77, 78 ibid. eine Zusammen-
rechnung der Strafen statt. Ueber die Verjährung der Strafverfolgung disponirt
der § 7 des EG. zum Straf GB. und über die der Strafvollstreckung der § 70 des
StrafS B. — Dagegen weicht das P. von dem gemeinen Strafrecht in folgenden
Punkten ab. Das Strafminimum beträgt nicht eine Mark, sondern die Summe
von drei Mark; bei der Umwandlung der Geld= in Freiheitsstrafe darf die Dauer
der letzteren ohne Rücksicht auf die Größe der ersteren niemals die Dauer von
sechs Wochen Haft überschreiten; der Rückfall ist ein gesetzlicher Strafschärfungsgrund,
der unter den gegebenen Voraussetzungen eine Qualifizirung der Strafbarkeit der
That herbeiführt. Er trifft jedoch nur die Porto-, nicht auch die Postdefraudationen,
setzt nicht die Begehung eines gleichen, sondern nur eines gleichartigen Delikts,
nämlich einer der verschiedenen im § 27 des Gesetzes gedachten Vergehungen vor-
aus und wird durch den Ablauf von drei Jahren nach ganz oder theilweise ver-
büßter oder erlassener Vorstrafe ausgeschlossen. Die mit Strafe bedrohten Handlungen
sind in Folge ihrer Natur als Zuwiderhandlungen gegen die Postgefälle auf einen
nur geringen Kreis beschränkt und scheiden sich in Porto= und Postdefraudationen.
Während die Berechtigung der gegen die ersteren gerichteten Strafandrohungen aus
der Ausschließlichkeit des Rechts der Post zur Beförderung gewisser Sendungen folgt,