150 Preßstrafrecht.
zwar einer quantitativen Ausdehnung, aber keiner qualitativen Steigerung fähig ist.
Die Verbreitung ist noch immer Verbreitung, auch wenn Hunderte von Jahren seit
der Ausgabe der Druckschrift verstrichen sind, und diese den Erdball durchflogen hat;
sie war aber auch schon Verbreitung in dem allerkleinsten jener konzentrischen Kreise,
die sie durchmessen, und in dem allerersten Zeittheilchen. An diesem Orte, in diesem
Augenblicke war die Gedankenäußerung bereits erfolgt, das Delikt bereits vollendet.
Dies läßt sich auch so ausdrücken: Mit dem Beginnen der Verbreitung
ist das Preßdelikt begangen, als vollendetes begangen, und der Ort, von dem
aus die Verbreitung erfolgt, ist der Ort der begangenen That. An diesem Orte,
in diesem Augenblicke ist die strafbare Thätigkeit des Verfassers und seiner Gehülfen
oder Anstifter konsummirt. Das weiterfolgende, das räumliche und zeitliche Fort-
schreiten der Verbreitungsthätigkeit kann ihnen gegenüber nicht mehr in Betracht
kommen; es ist eine Folge der selbständigen objektiven Existenz des Gedankens in
der Druckschrift. Sie haben nur an jenem Orte, in jenem Augenblicke delinquirt.
Aber eben weil der Gedanke objektive selbständige Existenz hat, kann er von anderen
Personen, die ihn nicht gezeugt hatten, benützt, durch Verbreitung der Druckschrift
geäußert werden: die weiteren Verbreitungsakte können, den nöthigen dolus voraus-
gesetzt, selbständige, mit dem ersten kongruente Preßdelikte sein. — Aus der Natur
der Verbreitung folgt ferner, daß ein Versuch der Preßdelikte ebensowenig möglich
ist, als der Versuch einer Gedankenäußerung überhaupt (was man gegen letztere
Behauptung vorbringt, hat weder praktische Bedeutung, noch theoretischen Werth);
denn Beginn der Verbreitung ist schon Verbreitung, das Vorangehende Vorberei-
tungshandlung, und einen Beginn des Beginnes anzunehmen, wird man doch wol
nicht geneigt sein.
Wir sind davon ausgegangen, daß die Verbreitung von einem Centrum aus
erfolgte; die Sache komplizirt sich, wenn mehrere Verbreitungscentren gegeben sind.
Wann das letztere, wann das erstere der Fall, läßt sich juristisch ebensowenig ab-
grenzen, wie die Zahl der zu einer „Menschenmenge“ erforderlichen Personen. Man
nehme an, daß dieselbe Schrift von Paris und von Leipzig aus verbreitet wird.
Gleichgültig ist es, ob der Beginn der Verbreitung an beiden Orten gleichzeitig er-
folgte oder nicht. Immer haben in einem solchen Falle, wenn sie diese Art der
Verbreitung gewußt und gewollt haben, Verfasser, Drucker, Verleger zwei selbst-
ständige, realiter konkurrirende, und kongruente Preßdelikte begangen (vgl. mein
Gutachten an den 15. Deutschen Juristentag über diese Frage). Man vergegen-
wärtige sich, um diese Ansicht plausibel zu finden, den Fall, wenn Jemand einen
und denselben Vortrag an verschiedenen Orten vor verschiedenen Versammlungen
abliest. Hier fehlt nur die, durch die Natur der Druckschrift ermöglichte, Wirkung in
die Ferne; an dem Vorliegen einer realen Konkurrenz wird hier wol Niemand zweifeln. —
Bedarf es noch einer Aufzählung der Preßdelikte? Ihre Zahl kann durch
die gesetzliche Kriminalisirung normwidriger Gedankenäußerung beliebig vermehrt
oder vermindert werden. Daß ohne besondere zwingende Gründe nur die Rechts-
güterverletzung, nicht aber ihre Gefährdung oder gar reiner Ungehorsam mit Strafe
bedroht werden soll, ist ein nicht nur für die Preßdelikte geltender Satz. Wer aber
hier aprioristisch Grenzen abstecken will, der verkennt, daß die Grenzlinie zwischen
dem bestraften und dem nichtbestraften Unrecht vom Gesetzgeber nach Zeit und
Volkscharakter und Bedürfniß gezogen werden muß. Die philosophirende Juris-
prudenz kann hier dem Gesetzgeber nichts anderes als Rathschläge an die Hand
geben; ob ihre heutige Gestaltung sie dazu befähigt, ist freilich eine andere Frage. —
Irrelevant ist es, ob die Gedankenäußerung in dem Reichs= oder im Landesrechte,
im Straf= oder im Preßgesetze oder in strafrechtlichen Nebengesetzen mit Strafe be-
droht ist; die in den §§ 15, 16, 17 des Preßges. enthaltenen Delikte sind ebenso-
gut Preßdelikte, wie die öffentlichen Aufforderungen, die Beleidigungen, die Gottes-
lästerung, die Verletzung der Sittlichkeit des Straf GB. es sein können. —