152 Preßstrafrecht.
Der im Schooße der Reichstagskommission von 1873 ausgearbeitete Entwurf
eines Preßgesetzes hatte das Belgische System adoptirt; der Regierungsentwurf stand
auf demselben Standpunkte. Allein in der Kommission von 1874 kam die entgegen-
gesetzte, von dem Deutschen Juristentage (1872) ausgehende Strömung zur Geltung;
das Belgische System wurde beseitigt und ein gemischtes System aufgestellt, das in
das Gesetz selbst überging. Nach diesem (Preßges. §§ 20 u. 219) gelten für die Ver-
antwortlichkeit für Preßdelikte folgende Sätze:
1) Zunächst kommt die Schuldlehre des allgemeinen Strafrechts
zur Anwendung. Danach sind Verfasser und erster Verbreiter, oder Herausgeber
und erster Verbreiter, den nöthigen dolus bei Beiden vorausgesetzt, Mitthäter event.
Thäter. Drucker und Verleger können wegen vorsätzlicher Theilnahme an dem Preß-
delikte als Anstifter oder (regelmäßig) Gehülfen bestraft werden. Modifikationen
dieser gegenseitigen Stellung sind selbstverständlich immer möglich. Die späteren
Verbreiter machen sich event. (Vorsatz erforderlich!) eines neuen selbständigen Preß-
deliktes durch die Verbreitung schuldig.
2) Auf der Basis dieser allgemein strafrechtlichen Grundsätze stehend, präfu-
mirt das Gesetz, unter Zulassung des Gegenbeweises, die dolose Thäterschaft des
verantwortlichen Redakteurs (s. diesen Art.).
3) Begründet der Inhalt einer Druckschrift den Thatbestand eines Preßdeliktes,
so präsumirt das Gesetz bei gewissen (nicht bei allen) an Herstellung, Ausgabe,
Verbreitung der Druckschrift betheiligten Personen, wenn sie nicht als dolose Thäter
oder Theilnehmer bestraft werden können, ihre fahrlässige Thäterschaft. Es sind ver-
antwortlich Redakteur, Verleger, Drucker, Verbreiter. Betont sei, daß hier „Ver-
leger“ und „Drucker" nicht die auf der Druckschrift genannten Personen (s. d. Art.
Preßpolizei), sondern diejenigen sind, die thatsächlich das betreffende Gewerbe
leiten, also event. Stellvertreter, oder der wirkliche Drucker statt des genannten
Strohmannes.
Gegen die Präsumtion steht den Genannten der Gegenbeweis zu (er ist nicht von
Amtswegen zu erheben!). Der Gegenbeweis kann auf verschiedene Weise geführt werden:
a. der Angeklagte weist die Anwendung der pflichtgemäßen Sorgfalt oder solche
Umstände nach, welche diese Anwendung unmöglich gemacht haben. Oder aber
b. der Gegenbeweis wird ersetzt durch die Nennung eines Vormannes. Vor-
mann ist 1) eine in der obigen Reihenfolge vorstehende Person; 2) Verfasser oder
Einsender, wenn mit ihrer Einwilligung die Veröffentlichung erfolgte; 3) bei nicht
periodischen Druckschriften der Herausgeber. Die Nennung (und Bescheinigung) muß
bis zur Verkündigung des ersten Urtheils erfolgen; der Genannte zur Zeit der
Nennung sich in dem Bereiche der richterlichen Gewalt eines Deutschen Bundes-
staates befinden oder wenn er bereits gestorben ist, zur Zeit der Veröffentlichung
befunden haben. Unmöglichkeit der Nennung, selbst wenn sie eine durchaus un-
verschuldete ist, kann die Nennung nicht ersetzen; doch steht dem Angeklagten auch
in diesem Falle der unter a. erwähnte Weg offen.
c. Der Verbreiter auswärtiger Druckschriften hat außer den unter a. und b.
erwähnten Vertheidigungsmitteln noch ein anderes, um der Verantwortlichkeit zu ent-
gehen. Er bleibt straflos, wenn ihm die betreffende Druckschrift auf dem Wege des
Buchhandels zugekommen ist. —
Die preßrechtliche Fahrlässigkeit zieht Geldstrafe bis zu 1000 Mark oder Haft
oder Festungshaft oder Gefängniß bis zu einem Jahre nach sich. —
Möglichst komplizirt und die praktische Anwendung erschwerend, sind die Be-
stimmungen, welche die Novelle vom 15. Oktbr. 1868 in das Oesterr. Recht ein-
geführt hat. Auch nach dem Oesterr. Preßrechte wird die prinzipale Anwendung der
allgemein-strafrechtlichen Grundsätze ergänzt durch das System der Fahrlässig-
keitsstrafen. Dagegen ist dem Oesterr. Rechte die Präsumtion der dolosen Thäter-
schaft des verantwortlichen Redakteurs fremd geblieben. Wegen Fahrlässigkeit haften: