200 Prostitution.
Sittlichkeit gegen anstoßerregenden Unfug und gegen Verführungen der Jugend,
und den Schutz der allgemeinen Gesundheit gegen die aus der P. ent-
springende Verbreitung ansteckender Krankheiten.
In ersterer Hinsicht fallen alle naturrechtliche oder philosophische Streitfragen,
welche sich auf die Berechtigung der außerehelichen oder „freien“ Geschlechtsliebe be-
ziehen, nicht ins Gewicht gegen die thatsächlich herrschenden Lebens= und Sitten-
auffassungen der civilisirten Völker, welche in dieser wie in anderen Fragen für den
Rechtsstaat als maßgebende Grundlage dienen. Diesen Sittenauffassungen hohn-
sprechende öffentliche Handlungen oder Aufforderungen und Verführungen dazu
erschüttern die einmal bestehenden Voraussetzungen der sittlichen Gesellschaftsordnung,
sind daher vom Staate nicht zu dulden und als grober Unfug unter Strafe zu
stellen. In diese Sphäre der Polizeithätigkeit fällt neben manchen ähnlichen Unfugs-
kategorien, z. B. der Trunksucht, dem Glücksspiele, der Thierquälerei u. s. w., auch
die P., insoweit sie an die Oeffentlichkeit tritt und namentlich der
unreifen Jugend Aergerniß und Verführung bietet. Ueber die Be-
kämpfung dieser beiden Ausschreitungsrichtungen hinaus gegen die lasterhafte
Lebensweise selbst vorzugehen, ist nicht Aufgabe der Polizei, welcher es
auch an wirksamen Mitteln dazu fehlen würde. Es haben sich zwar jederzeit
Stimmen erhoben, welche eine gänzliche Unterdrückung der gewerbsmäßigen Unzucht
dem Staate zur Pflicht machen wollen; aber es ist bezeichnend, daß diese Stimmen
sämmtlich vom Lande oder aus kleineren Städten — namentlich Universitätsorten —
herkommen, während bei allen erfahrenen Beurtheilern dieser Frage in größeren
Städten eine auffallende Einstimmigkeit darüber herrscht, daß es sich um ein in
seiner proteusartigen Vielgestaltigkeit äußerst schwer angreifbares und nimmermehr der
Ausrottung, sondern nur der Kontrole und der Eindämmung seiner schlimmsten Aus-
wüchse fähiges Uebel handelt. „Aufer meretrices de rebus humanis, turbaveris
omnia libidinibus“, sagt schon der Kirchenvater Augustinus, und einer der
heftigsten neueren Eiferer gegen die Hamburger und Pariser Bordellwirthschaften, der
Moralstatistiker v. Oettingen, giebt doch zu, „daß der Staat jenen schmutzigen
Abzugskanal der sozialen Zuchtlosigkeit dulden müsse, dulden und ihn abdämmen,
da sonst seine versumpfende Macht ohne einengendes Bett für den gesammten Boden
der Gesellschaft unberechenbar werden könnte; und schützen solle er nach Kräften,
physisch und moralisch, die Gesammtheit vor Infizirung“. Eine völlige Ausrottung
des Uebels ist schon deshalb undenkbar, weil ihm die dazu erforderliche Begrenz-
barkeit des Begriffes fehlt. Wenn man jede vorbedachte Preisgebung weiblicher
Reize zu materiellem Gewinne in den Bereich der polizeilichen Verfolgung hinein-
ziehen wollte, so dürfte keine Gesellschaftsklasse bis zu den Salons der hohen Aristokratie
hinauf von dem Vorwurfe freibleiben, Mitschuldige in ihrer Mitte zu dulden. In
mehr oder minder eleganter Form durchdringt alle gesellschaftlichen Verhältnisse
der Macht= und Erwerbsfaktor der sexuellen Gunstgewährung; seine
Abstufungen von der einflußreichen Hofdame herab bis zur verkommensten Gassen-
dirne sind so tausendfach vielseitige und verschlungene, daß für die Grenze des her-
kömmlich Zulässigen durchaus kein anderes, ethisches Merkmal auffindbar ist als
dasjenige, welches allen Kategorien des Unfugs gemeinsam ist, die Oeffentlichkeit.
Von dieser das Laster zurückzudrängen und dadurch das letztere möglichst einzudämmen,
ist die einzige sitten polizeiliche Aufgabe des Staates gegenüber der P. Da freilich
diese Eindämmung nur mittels einer gewissen Regelung und diese Regelung nur
unter einer gewissen ausgesprochenen Duldung des Uebels in bestimmten Grenzen
möglich ist, so entsteht dadurch ein Konflikt mit den Grundfätzen idealer
Moral, und auf diesem Konflikte beruht die Opposition mancher einflußreicher,
besonders kirchlicher Kreise gegen jedes System von Regelung der P. Man be-
hauptet, daß in gleichem Schritte mit solcher Regelung das Gewissen zunehmend
abgestumpft werde; — „in England, wo man alles seinen Weg gehen lasse, sei