Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

Paßpflicht. 19 
behörde ebenso zeitraubende wie für die Reisenden lästige Ausdehnung des Paß- 
zwanges suchte man durch den Satz zu rechtfertigen, daß der Fremde kein Recht zum 
Eintritt in das Land, zum Durchgang oder Aufenthalt habe und sich daher den 
hierfür von der Territorialgesetzgebung aufgestellten Bedingungen unterwerfen müsse. 
Die noch weiter gehende Forderung, daß auch der Inländer bei seinen Reisen im 
Inlande sich über seine Person und seinen Reisezweck durch einen Paß ausweisen, 
diesen bei jedem mehr als 24stündigen Aufenthalte von der Polizeibehörde des Ortes 
visiren lassen oder wol gar noch eine Aufenthaltskarte lösen müsse, wenn er mehr 
als zwei oder drei Tage am Orte zu verbleiben wünschte, ließ sich jedoch überhaupt 
nicht rechtfertigen, sondern nur aus Furcht der Regierungen vor revolutionären Um- 
trieben erklären. Dieser Entwickelung des Paßwesens entsprach es, wenn der Mangel 
eines Passes oder der Visirung oder selbst nur der Lösung einer Aufenthaltskarte 
Verhaftung, Rücktransport über die Grenze oder nach dem Heimathsorte zur Folge hatte. 
Alle diese in den verschiedenen Staaten Deutschlands und des Kontinents mit 
verschiedener Strenge gehandhabten Vorschriften der Paßgesetzgebung wurden nach 
den politischen Bewegungen und revolutionären Erhebungen der ersten Hälfte dieses 
Jahrhunderts regelmäßig verschärft und besonders in Oesterreich, Preußen und 
Sachsen mit äußerster Strenge gehandhabt. Erleichterte man auch die Erfüllung 
der P. in mehrfacher Beziehung, so vor Allem durch die in der Konvention vom 
21. Okt. 1850 eingeführten Paßkarten und durch die Abschaffung der amtlichen 
Visa für diese, ferner durch die in Preußen 1862 verfügte Aufhebung der Aufent- 
haltskarten und endlich durch die zwischen Bayern, Württemberg, Hannover und 
Sachsen abgeschlossene Konvention vom 7. Febr. 1865 — die P. selbst ist nach 
einem an einer Meinungsdifferenz des Abgeordneten= und Herrenhauses im Jahre 
1862 gescheiterten Versuche der Preußischen Regierung erst durch das Norddeutsche 
Bundesgesetz vom 12. Okt. 1867 aufgehoben worden, welches seit dem Eintritt der 
süddeutschen Staaten in das Deutsche Reich auch in diesen Geltung erlangt hat. 
Nach diesem ist das Paßwesen für den ganzen Umfang des Norddeutschen Bundes 
in einer den meisten europäischen Staaten konformen Weise dahin geregelt worden, 
daß von den Bundesangehörigen und Ausländern weder beim Ausgange aus dem 
Bundesgebiete noch bei der Rückkehr in dasselbe, weder während der Reise noch 
während des Aufenthalts in den Ländern des Norddeutschen Bundes ein Reisepapier, 
wie Paß, Paßkarte, Wanderbuch u. dgl. gefordert werden dürfe. 
Mit der Aufhebung der P. ist jedoch weder das Recht der Bundesangehörigen 
auf Ertheilung von Pässen und sonstigen Reisepapieren noch die Pflicht jedes Reisenden, 
sich auf amtliches Erfordern über seine Person, d. i. Namen, Alter, Stand, Wohnsitz, 
Staatsangehörigkeit, auszuweisen, beseitigt worden. Aber einmal muß diese amtliche 
Frage durch einen bestimmten, eine begangene oder beabsichtigte Rechtsverletzung oder 
eine strafbare Lebensart, wie Landstreicherei, gewerbsmäßige Unzucht u. dgl. be- 
treffenden Verdacht oder durch irgend ein anderes öffentliches Interesse motivirt sein; 
dann muß der Ausweis nicht mehr durch Reisepapiere, sondern er kann auch in 
anderer Weise, z. B. durch Zeugen oder Briefe, erbracht werden. 
Das Recht, die P. vorübergehend für einzelne Gebiete oder den ganzen Umfang 
des Deutschen Reiches oder für alle Reisen aus und nach bestimmten Staaten des 
Auslandes einzuführen, ist dem Bundespräsidium für den Fall gewährt, daß Krieg, 
innere Unruhen oder sonstige Ereignisse, wie Epidemien u. dgl., eine Kontrole der 
Reisenden nothwendig erscheinen lassen. Auch ist von diesem Rechte wiederholt Ge- 
brauch gemacht worden: so wurde durch Kaiserliche Verordnung vom 26 Juni 
1878 für die Stadt Berlin die Pflicht jedes Fremden oder Neuanziehenden, sich durch 
Paß oder Paßkarte über seine Person auszuweisen, bis auf Weiteres wieder ein- 
geführt; ebenso wurden mit Rücksicht auf die befürchtete Einschleppung der in Rußland 
ausgebrochenen Pest durch Kaiserl. Verordnung vom 2. Febr. und 14. Juni 1879 
die aus Rußland kommenden Reisenden für paßpflichtig erklärt. Endlich ist das 
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