Ratihabition. 259
in der Regel erst nach der R. beginnt (eine vertragsmäßige verabredete Ausnahme:
Londoner Protokoll vom 15. Juli 1840, s. bei Murhard, N. R., J. 163, welchen
Fall Wurm 1(171|] einen in der Geschichte der Diplomatie unerhörten Fall nennt)
und daß in verfassungsmäßigen Staaten die Zustimmung der Kammern vor der R.
erfordert wird, falls sie nicht schon vor dem Abschluß, was wol selten oder nie
eintritt und bedenklich wäre, gegeben worden sein sollte. Streng genommen wird
daher ein Vertrag durch die Unterzeichnung nur bedingt verbindlich, wenn auch die
Zustimmung oder die R. nur aus wichtigen Gründen unterbleiben darf. Daß aber,
selbst nach dem Wortlaut von Verträgen, die Gültigkeit erst mit der R. beginnen
soll, hat schon Berner (I. c.) nachgewiesen und Wurm (171), daß die Feind-
seligkeiten nur auf Grund eines unterzeichneten Friedens, nicht ipso jure cessiren,
sondern nur, wenn es besonders verabredet oder ein Waffenstillstand abgeschlossen ist.
Lit.: Die Ratifikation von Staatsverträgen von XXII. (Wurm) in der Deutschen
V.J. Schr. 1845, 1. Heft, S. 163 ff. — Berner in Bluntschli's Staats Wört. B. Bd. IX.
#. v. Staatenverträge, S. 632 ff., und die oben cit. völkerrechtlichen Werke von Grot,
Pufendorf, Bynkershoek, Vattel, Moser, Martens, Klüber, Wheaton,
Heffter, Oppenheim, Wildmann, Kent, Phillimore, Twiß, Calvo.
· A.Bulmerincq.
Ratihabition im Civilrecht ist die nachträgliche Genehmigung eines Rechts-
geschäftes, welches den Zweck hat, den Bestand desselben zu sichern, resp. erst herbei-
zuführen. Eine allgemeine Theorie der R. läßt sich nicht aufstellen, da dieselbe je
nach der Verschiedenheit des Rechtsgeschäftes, welches vorangegangen ist und ratihabirt
wird, verschieden wirkt. Es ist vielmehr zu unterscheiden 1) die R. einer fremden
Geschäftsführung, sog. negotiorum gestio (s. diesen Art.), welche für die Regel
auf den Zeitpunkt des vom gestor geschlossenen Geschäftes zurückwirkt; 2) die R.
von Handlungen, welche ein Dritter vorgenommen hat, die aber wegen mangelnder
Handlungsfähigkeit oder fehlender Dispositionsbefugniß desselben nicht vollkommen
gültig sind, seitens desjenigen, dessen Konsens die Handlungsfähigkeit ergänzt, so
z. B. die Genehmigung des Vormundes zu Rechtsgeschäften des Mündels und des
Eigenthümers zu einer seitens eines Dritten stattgehabten Veräußerung oder Be-
lastung (z. B. Verpfändung) seiner Sache. Auch hier tritt für die Regel in Folge
der von dem Berechtigten gegebenen R. Rückwirkung auf den Zeitpunkt des ab-
geschlossenen Geschäftes ein, jedoch vorbehaltlich der in der Zwischenzeit gültiger
Weise für Dritte bestellten Rechte. Das ist auch nach Preuß. Recht (s. Allg.
LR. I. 5 8§ 11 ff.; 20 §8§ 72 ff.; Förster, Preuß. Privatrecht, § 42) anzunehmen;
dasselbe gilt nach dem Sächs. BGB. 88 472, 787, 1822, 1911; nicht klar Oesterr.
BG. § 456. 3) Versteht man auch unter R. die nachträglich erklärte Zustimmung
der Partei zu einem von ihr eingegangenen Rechtsgeschäft, das entweder nichtig oder
anfechtbar ist. Liegt hier ein absolut nichtiges Geschäft vor, so kann dasselbe dadurch
nicht zu einem gültigen werden, vielmehr wird hier durch die sog. R. erst ein
solches, sofern es allen rechtlichen Erfordernissen genügt, neu geschaffen. Von einer
Rückwirkung kann also nicht die Rede sein. Anders verhält es sich mit den Ge-
schäften, welche relativ nichtig sind, z. B. mit einer wegen Irrthums des einen
Theils ungültigen Ehe, oder mit denjenigen, welche nur der Ansfechtbarkeit unter-
liegen. Hier stellt sich die sog. R. als Beseitigung des Rechts, das Geschäft als
nichtig aufzurufen oder anzufechten, dar, und dadurch ergiebt sich dasselbe Resultat,
als ob es von Anfang an vollkommen rechtsbeständig gewesen wäre. Die modernen
Partikularrechte (s. Preuß. Allg. LR. I. 5 8§§ 37, 38, 186 ff.; Code civil art. 1838;
Sächs. B#B. 88 104, 109, 787, 847, 848, 1656, 1822, 1911) stehen im Wesent-
lichen auf demselben Standpunkte, nur weist das Preuß. LR., welches in Bezug auf
einen wegen Unfähigkeit des einen Theils absolut nichtigen Vertrag bei einer späteren
gültigen sog. R. (Anerkenntniß genannt) die Rückwirkung auf Grund stattgehabter
Parteiübereinkunft zuläßt, die Anomalie auf, daß die Genehmigung selbst dann zurück-
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