Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

276 Rechtsbesitz — Rechtshängigkeit. 
Anwaltskammern. Die Anwälte eines jeden Oberlandesgerichtsbezirkes 
bilden eine Anwaltskammer. An ihrer Spitze steht ein Vorstand von 9—15 Mit- 
gliedern, welche von den betreffenden Anwälten auf vier Jahre gewählt werden und 
von denen die Hälfte aller zwei Jahre ausscheidet. Die Kammer stellt ihre eigene 
Geschäftsordnung, sowie diejenige für den Vorstand auf, bewilligt die durch Beiträge 
aufzubringenden Mittel für die Verwaltung ihrer Angelegenheiten und nimmt die 
Rechnung des Vorstandes ab. Der Vorstand führt die disziplinarische Aufsicht über 
die zur Kammer gehörigen Anwälte und handhabt die ehrengerichtliche Strafgewalt 
über dieselben, er vermittelt ferner auf Antrag Streitigkeiten unter ihnen und solche 
aus dem Auftragsverhältnisse zwischen Anwalt und Auftraggeber, diese jedoch nur 
auf Antrag des letzteren, er erstattet weiter Gutachten, welche von der Landes- 
justizverwaltung oder bei Streitigkeiten zwischen Anwalt und Auftraggeber von 
den Gerichten erfordert werden, endlich verwaltet er das Vermögen der Kammer und 
legt derselben die jährliche Rechnung. 
Die ehrengerichtliche Bestrafung eines Rechtsanwaltes tritt ein, wenn 
er die ihm obliegenden Pflichten verletzt hat. Die Strafen sind: 1) Warnung, 
2) Verweis, 3) Geldstrafe bis zu 3000 Mark und 4) Ausschließung von der R. 
Das Ehrengericht bildet der Vorstand der Anwaltskammer in der Besetzung von fünf 
Mitgliedern. Das Verfahren ist dem Strafprozeß nachgebildet. Der Staatsanwalt, 
welcher die öffentliche Klage erhebt und überhaupt bei dem Verfahren funktionirt, 
ist der Staatsanwalt beim Oberlandesgericht. Die Berufung von den Urtheilen 
der Ehrengerichte geht an den Ehrengerichtshof. Dieser ist bei dem Reichsgericht in 
Leipzig gebildet und besteht aus dem Präsidenten, sowie drei Mitgliedern dieses 
Gerichtes, endlich aus drei Mitgliedern der Anwaltskammer desselben. 
Für die Anwälte beim Reichsgericht gilt die Besonderheit, daß sie nicht gleich- 
zeitig bei einem anderen Gericht zugelassen werden, auch bei einem solchen nicht 
auftreten dürfen, auch können sie die dem Prozeßbevollmächtigten zustehende Ver- 
tretung nur auf einen anderen, beim Reichsgericht zugelassenen Anwalt übertragen, 
während als Vertheidiger oder zur Ausführung der Parteirechte jeder bei einem 
Deutschen Gericht zugelassene Anwalt auch vor dem Reichsgericht auftreten kann. 
Für die Anwälte beim Reichsgerichte ist aus diesen eine eigene Anwaltskammer 
gebildet, deren Vorstand für sie als Ehrengericht fungirt, jedoch ist die Mitgliedschaft 
in dem letzteren mit der im Ehrengerichtshof unvereinbar. 
Gsgb.: Deutsche Rechtsanwaltsordnung vom 1. Juli 1878. — Deutsche Gebühren- 
für Rechtsanwälte vom 7. Juli 1879. — Oesterr. Advokatenordnung vom 6. Juli 
186 
Lit.: H. Jacques, Die freie Advokatur und ihre legislative Organisation, Wien 
1868. — Gneift, Freie Advokatur, Berlin 1867. — A. Brix, Organisation der Advokatur 
in Preußen, Oesterreich 2c., Wien 1868. — F. Meyer, Die (Dautsch Rechtsanwaltsordnung, 
erläutert, Berlin 1879; Derselbe, Die (Deutsche) Gebührenordnung für Rechtsanwälte, 
erläutert, Berlin 1879. — C. Pfafferoth, Handbuch für das Anwaltsgebührenwesen des 
Deutschen Reich- Berlin 1879.— Endemann, Der Deutsche ivllprazeß Bd. III. S. 553 ff., 
591 ff. — Wach, Vorträge über die RCPO., Vonn 1879, S. 64 ff. — Zeitschr, des Anwalts= 
vereins für Bayern, Erlangen seit 1861. — Preuß. W Gtull. herausgeg. von F. und 
P. Hinschius, Berlin 1862—1866. — Jurist. Wochenschrift, herausgeg. von S. Hänle 
und J. Johannsen, Organ des Deutschen Anwaltsvereins, Berlin seit 361 ch 
inschius. 
Rechtsbesitz, s. Quasibefitz. 
Rechtshängigkeit (Litispendenz) ist eine aus verschiedenen Wendungen der 
Quellen (1. 2. C. de litig. 8, 36; rubr. C. 1, 21; rubr. X. 2, 16) abgeleitete 
Bezeichnung, welche von der früheren gemeinrechtlichen Theorie auf den Zustand 
einer in gerichtlicher Verhandlung begriffenen Streitsache als die Grundlage gewisser 
Rechtswirkungen angewendet wurde. Ueber den Zeitpunkt der R. bestand Streit, 
weil jene Wirkungen nicht alle gleichzeitig eintraten; vgl. Renaud, Civilprozeß,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.