Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

Rechtsmittel. 291 
für die durch die Vielheit der Gerichte gefährdete gleichmäßige Auslegung und An— 
wendung des Rechtes sorgen. Letzteres setzt voraus, daß der Gerichtsorganismus in 
eine oberste Einheit auslaufe, bis zu welcher die Sache gebracht werden kann. Kann 
nun jede Sache bis in diese höchste Instanz gebracht werden, so bedarf es keiner 
Vielheit von R. Das R., wie es für seinen ersten und Hauptzweck, den Schutz der 
Parteien, konstruirt ist, erfüllt dann immer zugleich auch den andern Zweck, die 
Rechtseinheit zu wahren; denn eine wiederholte Prüfung der Rechtsanwendung muß 
das R. schon behufs jenes ersten Zweckes auf alle Fälle herbeiführen. Deswegen 
kannten das Römische und das Gemeine Recht nur ein eigentliches R., die 
Appellation:; denn prinzipiell konnte jede Sache bis zum Kaiser resp. bis zu den 
Reichsgerichten, als den „unmittelbaren Organen der kaiserlichen Jurisdiktion“ 
gebracht werden. Das R. änderte in der höheren Instanz nur seinen Namen 
(Oberappellatioy), aber nicht sein Wesen. Und auch als die Ueberlastung der 
höchsten Gerichte Kaiser und Reich veranlaßte, die Appellation an die Reichsgerichte 
durch das Erforderniß einer im Lauf der Zeit mehr und mehr erhöhten Appellations= 
summe zu beschränken, waren die hieraus nach Römischem Vorbild (retractationis 
auxilium: nov. 82 c. 12) entstandenen neuen Gebilde der Revision und der 
Supplikation (Wetzell, System, § 59) für das Gemeine Recht keine neuen 
R., sondern lediglich der Appellation nachgebildete Surrogate derselben, wenn sie 
auch partikularrechtlich vielfach zu selbständigen R. neben der Appellation wurden 
(so insbes. die Leuteration des Sachsischen Rechtes). — Ganz anders, wenn die 
zum Schutz der Parteien aufgestellten R. vor der höchsten Instanz enden, diese also 
nur zum Schutz der Rechtseinheit besteht. Der Zug der neueren Zeit geht dahin, 
die Garantien für richtige und gerechte Entscheidungen in die Zeit vor dem Richter- 
spruch zu verlegen, in die Bestimmungen über die Oualifikation zum Richteramt, 
über die Stellung des Richters im Staate, über die Besetzung der Richterbank, über 
die ganze Konstruktion des Verfahrens; dementsprechend aber die Zahl der möglichen 
Anfechtungen des nämlichen Urtheils durch die Parteien zu beschränken. So auch 
die neue Deutsche Gesetzgebung. Sie hat den „Grundsatz der drei Instanzen“, dem 
übrigens auch für das Gemeine Recht eine gesetzliche Grundlage fehlte (Zimmern, 
Geschichte des Römischen Privatrechtes, III. S. 508; Wetzell, System, § 54 
Note 26, § 57 Note 12), ausgegeben. „Den Anforderungen, welche die Prozeß- 
parteien an den Staat stellen können, dürfte völlig genügt sein, wenn der Staat den 
Prozeßparteien die Möglichkeit gewährt, ihren Rechtsstreit in einem wohlgeordneten 
Verfahren zweimal zu verhandeln und die Entscheidung zweier wohlbesetzter Gerichte 
zu erwirken“ (Motive zur Deutschen CPO. l. c. § 14, S. 405). Lediglich im 
Interesse der Rechtseinheit gestattet sie die Anrufung der höchsten Instanz im Reich, 
des Reichsgerichtes. Dadurch aber gelangte sie von selbst zu einer Doppelheit 
der R. Denn die Wahrung der Rechtseinheit erforderte blos eine revisio in jure, 
keine Nachprüfung in thatsächlicher Beziehung. Hierauf ist das R. der Revision 
(s. diesen Art.) beschränkt (§ 511 mit § 524 der RoPO.). Den Interessen der 
Parteien dagegen ist durch ein so konstruirtes R. in ausreichender Weise nicht Genüge 
gethan. Die Unnatur und oft kaum lösbare Schwierigkeit der Trennung der Rechts- 
frage von der Thatfrage, für das R. zur Wahrung der Rechtseinheit ein „noth- 
wendiges Uebel“, würde die Interessen der Parteien schwer gefährden. Vorzüglich 
mit Rücksicht auf diese Erwägung ist die von den Entwürfen proponirte Aufnahme 
der Revision auch als R. zweiter Instanz vom Bundesrath reprobirt (s. die reiche 
Literatur über diese Frage bei Struckmann, Komment. zu 8§ 472 ff. der CPO.) 
und in der Berufung (s. diesen Art.) der Ro O. den Parteien ein Mittel ver- 
liehen worden, gegen jede mögliche Art der Verletzung durch das erstrichterliche Ur- 
theil, gegen Unrichtigkeit der thatsächlichen Feststellungen so gut, wie gegen Ver- 
letzungen des materiellen oder des Prozeßrechtes (vgl. v. Kries, S. 87, 145) sich 
zu schützen. Dabei hat sich die Deutsche CPO. — vor die zweifache Möglichkeit 
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