Regierungsstellvertretung. 325
daß jederzeit die Möglichkeit bestehe, Regierungsentschließungen einzuholen. Recht-
liches Mittel hierzu ist die Ertheilung eines zugleich eine Vollmacht in sich schließenden
Auftrags, vermöge dessen die in Stellvertretung bewirkte Entschließung als vom
Staatsoberhaupt ausgegangen rechtlich anzuerkennen ist. Vollkommen unbegründet
ist demnach der Einwand, der gegen die Zulässigkeit einer R. aus dem Grunde er-
hoben wird, weil die dem Monarchen zu perfönlicher Ausübung übertragenen Rechte
nur auf Grund verfassungsmäßiger Bestimmung auf eine andere Person übergehen
dürften. Es handelt sich bei der R. keineswegs um den Uebergang von fürstlichen
Regierungsrechten, etwa des Gesetzgebungsrechts, an eine andere Person, sondern
lediglich um die Erfüllung eines fürstlichen, generellen oder speziellen Auftrags. Der
Monarch bleibt Inhaber der Regierungsgewalt, auch wenn er solche Austräge er-
theilt. Durch seine Vollmacht drückt er der vertretungsweise gezeichneten Verfügung
den Charakter einer Regentenhandlung auf, und das „in höchstem Auftrage“ durch
den Regierungsvertreter vollzogene Gesetz ist als ein vom Gesetzgeber ausgehendes
rechtsbeständig. Aus den Verfassungsvorschriften, welche die Machtsphäre der Krone
normiren und abgrenzen, kann an sich mit Nichten gefolgert werden, daß die mon-
archischen Entschließungen actus legitimi sind, deren der Monarch sich höchst per-
sönlich zu unterziehen hat.
In solchem Sinne ist denn eine R. nirgends zu vermeiden und in einer Reihe
Deutscher Staaten, auch solcher, deren Gesetze sie nicht vorsehen, zu wiederholten
Malen vorgekommen, ohne daß gegen die staatsrechtliche Gültigkeit der vertretungs-
weise gezeichneten Urkunden, und waren es selbst Gesetzesurkunden, eine ernsthafte
Einwendung erhoben worden wäre. In Baden ertheilte Großherzog Leopold
unter dem 21. Februar 1852 auf Grund „anhaltenden Unwohlseins“ dem Prinzen
Friedrich, dem gegenwärtig regierenden Großherzog, die Vollmacht, die der groß-
herzoglichen „Unterschrift bedürfenden Gesetze, Verordnungen und Entschließungen“ in
des Großherzogs Namen zu unterzeichnen.“ Erst mit dem Tode Leopold's, am
24. April ej., fand die Uebernahme einer Regentschaft für den (regierungsunfähigen)
Großherzog Ludwig statt. Zahlreiche Präzedenzfälle einer R. liegen sodann aus
Württemberg vor, wo sowol unter der langjährigen Regierung des Königs Wilhelm,
als auch seines Nachfolgers, des jetzigen Königs, oftmals Vertretungen des verreisten
oder erkrankten Monarchen unter den verschiedensten Modalitäten eingerichtet und
anstandslos hingenommen worden sind. In Preußen ist seit Bestehen der Verfassung
eine R. zu zwei verschiedenen Malen eingetreten. In Folge der Erkrankung König
Friedrich Wilhelm's IV. wurde am 23. Oktober 1857 der Thronfolger, damalige
Prinz von Preußen, auf drei Monate mit der „vollen Stellvertretung des Königs
in den Regierungsgeschäften“ betraut. Der Fall erregte Bedenken, die darum er-
heblich waren, weil es zweifelhaft erschien und bei der dreimal immer auf ein wei-
teres Vierteljahr erfolgten Prolongation immer zweifelhafter werden mußte, ob es
sich in Wahrheit um eine blos vorübergehende Behinderung des Monarchen und
nicht vielmehr um eine Regierungsunfähigkeit desselben von ganz unbestimmter Dauer
handle, ob also nicht der Fall der Regentschaft gegeben sei, wie denn eine solche
auch mit dem 9. Oktober 1858 eintrat. Das zweite Mal wurde eine R. am
4. Juni 1878 in Folge des Nobilingschen Attentats für Preußen, und da die
Preußische Krone in Realunion mit der Deutschen Kaiserkrone steht, gleichzeitig auch
für das Reich angeordnet, indem der König und Kaiser dem Kronprinzen für die
Dauer Seiner Behinderung Seine „Vertretung in der oberen Leitung der Regie-
rungsgeschäfte“ übertrug.
Auch in der staatsrechtlichen Doktrin kann der Zweifel über verfassungsmäßige
Zulässigkeit einer R., wie ihn die Preußischen Vorgänge von 1857—1858 hervor-
riefen, als überwunden gelten. Der damals seitens der politischen Publizistik aus-
gesprochenen Behauptung, daß für Preußen die Reichsverwesung die einzige, über-
haupt statthafte Form stellvertretender Regierung sei, hat sich allerdings einer der