Reglement der Eisenbahnen. 337
Die „Dispositionsbefugniß“ des Absenders über das Gut erlischt, so—
bald das Gut am Bestimmungsort angekommen und der Frachtbrief übergeben ist,
ferner wenn der Empfänger nach Ankunft des Guts am Ablieferungsorte Klage auf
Ausantwortung von Frachtbrief oder Gut stellt. In denselben Momenten beginnt
die ausschließliche Dispositionsbefugniß des Empfängers.
Die Eisenbahn ist verpflichtet, wenn sie das Gut am Bestimmungsort nicht
selbst an die Behausung führt, den Empfänger von der Ankunft desselben durch
Boten, Post 2c. zu benachrichtigen.
Führt sie das Gut durch Rollfuhrunternehmer selbst zu, so ist Avisirung nicht
geboten. Es ist Sache jedes Einzelnen, ob er Güter, die an ihn ankommen, selbst
abholen oder sich der bahnseitig aufgestellten Rollfuhrunternehmer bedienen will.
Nach dem Bahnreglement braucht die Eisenbahn nur gegen sofortige Bezahlung der
Fracht und sonstigen auf dem Gut haftenden Gebühren abzuliefern.
Gleichwie Verzug in der Auflieferung der Güter die Verpflichtung des Absenders
nach sich zieht, Lagergeld oder Konventionalstrafe für zu lange Inanspruchnahme
der Räumlichkeiten oder Wagen der Eisenbahn zu zahlen, ebenso kann Verzug in
der Abführung, Abnahme oder Ausladung der Güter die Verpflichtung des Empfängers
begründen, Lagergeld oder Konventionalstrafe zu zahlen.
Für alle auf dem Frachtgut haftenden Ansprüche, soweit sie durch den Fracht-
vertrag begründet sind, ferner für Zollgelder und andere Auslagen (excl. Nach-
nahmen nach Eingang) haftet das Frachtgut der Eisenbahn als Pfand.
Die Realisirung des Pfandrechts erfolgt, wenn die Eisenbahn noch im Besitz
des Pfandobjektes ist, nach Art. 407 des HG#B. dadurch, daß sie den Antrag auf
Verkauf des Guts bei dem kompetenten Gerichte (Art. 310 des H#G#.) einreicht.
Da die Eisenbahnen Vorauszahlung vor Ablieferung der Güter verlangen, kommen sie
selten in die Lage, von dem Pfandrecht Gebrauch zu machen.
Die Eisenbahnen haben als Kaufleute im Sinne des Art. 4 des H##. unter
den Voraussetzungen der Art. 313 und 314 auch das kaufmännische Retentionsrecht
und außerdem selbstredend die ordentlichen Rechtsbehelfe gegen ihren Schuldner.
Ablieferungshindernisse. Wenn die Ab= oder Annahme des Guts
vom Empfänger verweigert wird, wenn die Abgabe eines Guts überhaupt nicht
thunlich geworden und wenn Bahnhoflagernd aufgegebene Güter innerhalb der
vorgeschriebenen Frist nicht abgeholt werden, haben die Eisenbahnen die Wahl:
a) entweder die Güter auf Gefahr und Kosten der Versender auf der betreffenden
Station zu lagern — von da an haften sie nur als Depositare —, b) oder die
Güter unter Nachnahme ihrer Kosten und Auslagen in ein öffentliches Lagerhaus
oder einem ihnen als bewährt bekannten Spediteur zu übergeben — hiermit ist das
Frachtgeschäft für die Eisenbahn vollständig erledigt —, oder c) das Gut außer-
gerichtlich (muß nicht öffentlich sein) zu verkaufen.
Letzteres setzt jedoch noch weiter voraus, daß die Güter dem schnellen Verderben
ausgesetzt sind und zugleich mit dem Adressaten der Absender die angebotene Zurück-
nahme verweigert, oder falls der Empfänger die Annahme verweigert, oder nicht zu
ermitteln ist, daß zugleich der Versender nicht zu ermitteln ist.
Hat die Eisenbahn zwischen diesen ihr offenstehenden Wegen gewählt, so darf
sie nicht zum Nachtheil des Versenders variiren (Entsch, des RO-PG. VIII. S. 317).
Haftpflicht der Eisenbahn. Hinsichtlich der Ausführung des Transports
auf der ganzen Strecke stehen mehrere Eisenbahnverwaltungen dem Ab-
sender als Korrealschuldner gegenüber (Entsch des ROP. XI. S. 212).
Die erste Eisenbahn kontrahirt Namens ihrer Transportnachfolger und für
Rechnung derselben. Der Rückgriff der Eisenbahnen untereinander ist in Ermange-
lung gesetzlicher Regelung nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts über den
Regreß der Korrealschuldner untereinander zu beurtheilen.
v. Holtzendorff, Enc. II. Rechtslexikon III. 3. Aufl. 22