Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

344 Reichsanwaltschaft. 
gerichte, ebenso die Marinegerichte üben die ihnen zugewiesene richterliche Thätigkeit, 
dem Wesen des Richteramts entsprechend, unabhängig von der Leitung des Reichs- 
kanglers. Nach verschiedenen Richtungen hat sich auch eine Reichsverwaltungsjuris- 
diktion entwickelt: hierher gehört insbesondere die Thätigkeit des Patentamts, des 
Bundesamts für das Heimathwesen, der Behörde für die Untersuchung von See- 
unfällen und der nach dem Gesetze, betreffend die gemeingefährlichen Bestrebungen der 
Sozialdemokratie, bestehenden Kommission. Das verstärkte Reichseisenbahnamt, dem 
eine analoge Thätigkeit zugedacht war, besteht nur auf dem Papier. Eine kollegialische 
Verfassung und Unabhängigkeit vom Reichskanzler ist auch gewissen Kontrolorganen, 
dem Rechnungshofe des Deutschen Reichs, der Reichsschuldenkommission und der Ver- 
waltung des Reichsinvalidenfonds, eingeräumt. Auch die Reichsschuldenverwaltung 
steht nur in gewissen Beziehungen unter der Leitung des Reichskanzlers, für eine Reihe 
von Geschäften ist die Hauptverwaltung der Staatsschulden unbedingt verantwortlich. 
Die nähere Gliederung der R. in den der Selbstverwaltung des Reichs unter- 
stellten Angelegenheiten entzieht sich an diesem Orte der Darstellung. 
Auch die Aemter der Landesverwaltung von Elsaß-Lothringen sind als R. zu 
bezeichnen, da Elsaß-Lothringen Reichsland ist. Die durch die Gesetze dem Reichs- 
kanzler in Elaß-Lothringischen Angelegenheiten eingeräumte Stellung mit ihren Ob- 
liegenheiten ist seit 1879 auf den kaiserlichen Statthalter übertragen. Dgl. ins- 
besondere Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reichs, Bd. I. S. 291 ff.; 
s. auch d. Art. Reichsbeamte. Eccius. 
Reichsanwaltschaft. (Vgl. d. Art. Staatsanwaltschaft.) „Das Amt der 
Staatsanwaltschaft wird ausgeübt: 1) bei dem Reichsgericht durch einen Oberreichs- 
anwalt und durch einen oder mehrere Reichsanwälte“ . . (GV. § 143). Die- 
jenigen Vorschriften, welche das Gesetz bezüglich der Staatsanwaltschaft getroffen hat, 
beziehen sich somit im Allgemeinen auch auf die R. Doch sind folgende, die R. 
speziell betreffenden Bestimmungen hervorzuheben: 
1) Der Oberreichsanwalt und die Reichsanwälte werden auf Vorschlag des 
Bundesraths vom Kaiser ernannt (GVG. § 150 Abs. 1). Wer in Gemäßbeit des 
GVG. § 149 Abs. 2 zum Staatsanwalt bei den Oberlandesgerichten und den Land- 
gerichten ernannt werden kann, d. h. wer die Qualifikation zu einem Richteramte 
hat, ist auch befähigt zum Oberreichsanwalt oder Reichsanwalt ernannt zu werden. 
2) Während das GVG. es der Landesgesetzgebung überlassen hat, darüber zu 
befinden, ob die Staatsanwaltschaft ein ständiges Amt oder ob dasselbe ein von 
richterlichen Beamten auf Grund eines widerruflichen Auftrages ausgeübtes Amt sein 
solle (z. B. Württemberg, Ges. über die Gerichtsverfassung Art. 27; Braun- 
schweig, Ges. vom 17. Jan. 1870; Oldenburg, Gesfl über die Gerichtsverfassung 
Art. 32), ist für die R. bestimmt worden, daß dieselbe ein ständiges Amt ist. 
3) Da in denjenigen Staaten, in denen das Amt eines Staatsanwalts auf 
Grund eines widerruflichen Auftrages von richterlichen Beamten ausgeübt wird, der 
mit den Funktionen der Staatsanwaltschaft Betraute nicht aufhört Richter zu sein, 
so versteht es sich von selbst, daß nur in denjenigen Staaten die Staatsanwälte 
mit Wartegeld zur Disposition gestellt werden können, in denen (wie in Preußen) 
das Amt des Staatsanwaltes ein ständiges Amt ist. Das G. hat sich für die 
R. dem Preußischen System auch darin angeschlossen, daß es § 150 in Bezug auf 
den Oberreichsanwalt und die Reichsanwälte bestimmt, daß dieselben durch kaiserliche 
Verfügung jederzeit mit Gewährung des gesetzlichen Wartegeldes einstweilig in den 
Ruhestand versetzt werden können. 
4) Für die Mitglieder der R. steht das Recht der Aufsicht und Leitung dem 
Reichskanzler zu. Daß auch dem Oberreichsanwalt das Recht der Aussicht und 
Leitung in Bezug auf die Reichsanwälte zustehe, sagt das GG. nicht. Es dürfte 
sich dies aber aus dem Zusammenhalt der 88 148 Nr. 3 und 145 und der analogen 
Anwendung derselben auf die Verhältnisse der R. ergeben. Dem Reichsgericht gegen-
	        
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